(Num 11; Jak 5, 1–6; Mk 9, 38–48)
Liebe Schwestern und Brüder,
die erste Lesung aus dem Buch Númeri ist ein Paradebeispiel dafür, wie man Lesungstexte einfach nicht zusammenkürzen darf. Freilich wäre das ganze Kapitel 11 für einen Lesungstext am Sonntag viel zu lang. Und letztlich geht es wohl auch nur um die Verse 28 und 29, die einen Bezug zum Evangelium herstellen können. Aber der Sinn des 11. Kapitels des Buches Númeri ist doch ein ganz anderer. Der wird aber völlig entstellt, wenn man die Verse 1–24 einfach weglässt. Da steht nämlich dann, warum der Herr vom Geist des Mose etwas nahm, um ihn auf 70 Älteste zu legen. Man kann sonst gar nicht verstehen, warum er das tut.
Die Verse 1–24 erzählen nämlich, wie das Volk gegen Gott und Mose aufstanden und sich über diese und ihr Schicksal beschwerten. Bemerkenswert ist, dass Mose Fürbitte beim Herrn für sie einlegte und sie nicht einfach dem Zorn Gottes überlässt, der ein Feuer geschickt hatte. Sich für Menschen, die einem anvertraut sind, einzusetzen, auch wenn sie Mist verbockt haben, ist ein Kennzeichen eines guten Hirten.
Ich verstehe auch den Aufruhr der Leute, wenn scheinbar eben alles mal den Bach runter zu gehen scheint. Das ist doch auch verständlich und sollte zur Kenntnis genommen werden, anstatt nur auf die Leute zu schimpfen.
Schlussendlich beschwert sich sogar Mose über Gott, weil der ihm die Last seines Volkes auferlegt hat. Freimütig bekennt er: „Ich kann dieses ganze Volk nicht allein tragen, es ist mir zu schwer“ (V14). Gott nimmt die Beschwerde des Mose ernst, ohne ihm zu zürnen. Er schlägt dann vor, was in der offiziellen Lesung des Lektionars von heute geschildert wird. Es geht um Geistteilung. Gott nimmt vom Geist des Mose und legt sie auf die 70 Ältesten. Dieser erstaunliche Vorgang im 1. Testament lässt uns an Pfingsten denken, wo der Geist Gottes auf alle herabkam.
Wenn man so will, verdanken wir der Krise des Mose und des Volkes, dass Gott den Geist sozusagen „demokratisiert“. Es kann und darf sich nicht nur einer hinstellen und behaupten, er allein hätte den Geist und die anderen nicht. Nein, es geht immer um gemeinsam geteilten Geist, um Teamgeist, ohne den keine Gemeinschaft eine Zukunft hat.
Zurecht ruft Mose am Ende aus: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn (und nicht nur die 70, Anmerkung) zu Propheten würden, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“(V 29). Das hat sich ja zu Pfingsten ereignet, das ereignet sich in jeder Taufe, ja, das ereignet sich und wird sichtbar und spürbar in jeder Liebe, die diesen Namen verdient. Darum sollte schon die Frage erlaubt sein, warum nur zölibatäre Priester Pfarrgemeinden leiten dürfen, wenn alle Geistempfänger und Geistbegabte sind?!
Warum löst man lebendige Pfarrgemeinden auf, nur weil es immer weniger Priester gibt? Warum nehmen wir die Heilige Schrift nicht ernster und kürzen sie so, dass sie zu unserer liebgewordenen, verkürzten Sicht des Lebens passt? Es wäre schön, wenn uns biblische Texte mehr für neue, alte Wege aufbrechen würden, als sie nur zur Bestätigung des Status Quo zu missbrauchen.
Ich bin überzeugt davon, dass es auch heute mehr Geistliche gibt, als es Geistliche gibt. Möge uns doch der Geist Gottes ermutigen und aufbrechen, ihn wehen zu lassen, wo und wie er will. Dann sähe Manches vielleicht viel froher und hoffnungsvoller aus.
Auch die Kirchen haben nur Zukunft, wenn sie verstehen und lernen, was wirklich geteilter und allen geschenkter Geist ist. Und das hat uns schon Mose bzw. Gott im 1. Testament vorbildlich vorgemacht, nicht nur an dieser Stelle. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)