(Dan 12, 1–3; 1 Joh 4, 9–15; Mk 13, 24–32)
Liebe Schwestern und Brüder,
jetzt ist wieder die Zeit apokalyptischer Texte an den nächsten Sonntagen. Ehrlich gesagt, nervt mich das immer etwas, weil wir doch in unserer Welt genug Apokalypse haben. Es wird ja immer behauptet, dass diese apokalyptischen Texte eigentlich Trosttexte sein sollen insofern, als sie darauf verweisen, dass Gott am Ende siegen und die Auserwählten retten wird. Diese sog. „Auserwählten“ leben halt jetzt in bedrängten Verhältnissen und haben eigentlich keine Hoffnung mehr, dass sich irdisch noch etwas zum Besseren wenden kann. Dieses Gefühl haben tatsächlich leider viele Menschen in den Krisen- und Kriegsgebieten unserer Erde. Und ich würde ihnen gerne wünschen, dass man sie nicht nur auf eine göttliche Endzeit vertrösten müsste.
Ehrlich gesagt, kann ich mit apokalyptischen Texten nicht allzu viel anfangen. Trösten tun sie mich auch nicht. Freilich hoffe auch ich auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, die von Gott kommen werden. Aber ich habe nix dagegen, dass das jetzt schon ein bisschen beginnt und erfahrbar wird. Ob mich apokalyptische Texte ermutigen, Hoffnung zu haben, sei dahingestellt.
Wenn ich also erzählen soll, worauf ich vertraue, dann muss das nicht gleich Gott sein mit der Erwartung seines finalen Endes. Nein, dann erinnere ich mich, dass es auf dieser Erde immer wieder überraschende Wenden gab. Eine war sicher der friedliche Mauerfall, an den wir in diesen Tagen gedacht haben. Aber denken wir auch an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, an das Völkerrecht, an den Schutz von Minderheiten, an ein neues und vertieftes Mitweltbewusstsein, an gewaltfreie Pädagogik, an das Bemühen um Gleichberechtigung in vielen Bereichen unseres Lebens und, und, und….
Das alles wurde nicht unbedingt von der Kirche angestoßen, manchmal sogar von ihr abgelehnt. Ja, ich vertraue darauf, dass Gott seinen Geist nicht nur Kirchen- oder Religionsmitgliedern gibt, sondern vielen Menschen, auch ohne Religion, die mit und in diesem Geist versuchen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und das geschieht ja auch.
Gott hat uns seinen einzigen Sohn nicht gesandt, um uns die Hölle heiß zu machen, sondern damit wir durch ihn leben, und zwar schon jetzt. Das war letztlich auch die Mission Jesu, Menschen schon jetzt Himmel erfahrbar zu machen durch seine heilvolle und heilsame Nähe und Liebe.
Nicht apokalyptische Texte trösten mich, nicht die recht fragwürdige Genugtuung der sog. „Auserwählten“, wenn sie am Ende zuschauen dürfen, wie die Bösen ihre ewige Strafe erhalten. Nein, was mich tröstet sind Menschen, die trotz und in allen Apokalypsen Liebe zu leben versuchen, und sei es noch so wenig und gebrochen.
Gottes Liebe, auf die ich unbedingt vertraue, gibt mir Hoffnung, Kraft und Zuversicht, und zwar für jetzt. Und ich hoffe für die ganze Menschheitsfamilie, dass am Ende nicht die Apokalypse, sondern die Liebe alles in allem ist. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)