(Ps 23, Joh 10, 1–10)
Liebe Schwestern und Brüder,
vermutlich ist der Psalm 23 einer der berühmtesten und bekanntesten Psalmen und hat schon vielen, unzähligen Menschen Trost, Kraft und Zuversicht geschenkt. Schon der erste Satz ist eigentlich ein Grundcredo der Bibel, wenn es da heißt: „Der Herr ist mein Hirt!“ Es mag ja viele Hirten geben, die sogar im Namen Gottes Hirten sein wollen und dürfen. Aber niemals sind und dürfen sie die Stelle des wichtigsten Hirten einnehmen, der Gott selber ist. Und niemals dürfen sie sich aus der demütigen Erkenntnis herausschleichen, dass sie immer weit hinter Dem zurückbleiben, der der Hirt der Menschen und Geschöpfe bleibt.
Wenn also „der Herr mein Hirte ist“ und Jesus dieses Hirtesein in Wort und Tat noch einmal ganz konkret ausgelegt hat, dann gilt unser letztes und tiefstes Vertrauen immer Ihm, der dieses Vertrauen und auch unsere Liebe in jedem Fall verdient hat.
Wenn „der Herr mein Hirt ist“, dann bedeutet dies auch, dass ich niemanden und nichts erlaube, sich an seine Stelle zu setzen, keinem menschlichen Hirten, keiner Institution, auch der Kirche nicht, rein gar nichts. Das bewahrt zwar nicht vor Enttäuschung, aber unsere Herzen bleiben in seiner liebenden Nähe bewahrt, nicht verletzungsresistent, aber frei. Das ist das erste und wichtigste für mich in dem Satz: „Der Herr ist mein Hirte!“
Was dann in dem Psalm 23 kommt, legt das Hirtesein Gottes und Jesu noch einmal konkret aus, für mich sehr schön ausgedrückt in Vers 3: „Meine Lebenskraft bringt er zurück!“ Noch einmal: das Gottesbild Jesu war nicht eine Erfahrung, die plötzlich ganz neu vom Himmel fiel. Sie drückt jenes Gottesbild aus, das Jesus im 1. Testament, seiner Heiligen Schrift, als roten Faden gefunden hat, sicher nicht auf jeder Seite, im 2. Testament übrigens auch nicht.
Gott braucht eigentlich keine Türen, keine Stellvertreter, um der Hirte unseres Lebens zu sein, mal abgesehen davon, dass er sich nie stellvertreten lässt. Aber er sucht immer wieder Menschen, die in seinem Geist und im Geiste Jesu Menschen die Türe des Vertrauens in Gottes Liebe öffnen, dessen Liebe selbst durch die Schrecklichkeit des Kreuzes nicht wirklich durchkreuzt werden konnte. Das Kreuz ist zum wichtigsten Symbol des Christentums geworden. Aber ich bin überzeugt davon, dass es das Bild vom Guten Hirten auch verdient hätte. Die ersten bildlichen Darstellungen des frühen Christentums zeigen ja auch Jesus als Guten Hirten. Sicher, das Kreuz kann in schweren Zeiten, in finsteren Tälern, auch zum Trost werden als Zeichen dafür, dass Gott auch im Schmerz bei mir ist und mich versteht. Aber das Bild des Guten Hirten prägt sich besser in die Seele ein und ist vielleicht nicht so missbrauchbar wie das Bild des Kreuzes.
Und natürlich ist der Satz in Vers 4 das Allerwichtigste, was sich von Gott sagen lässt und an seinen Namen Jahwe erinnert: „Du bist bei mir!“ Gott will mein Leben Jetzt, so wie es Jesus in seinem Namen immer wieder deutlich gemacht hat. Er will, dass wir ihm nachfolgen, alle und jeder da, wo er hingestellt ist, und zwar indem wir uns alle als Gute Hirtinnen und Hirten in seinem Geiste rufen und berufen lassen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)