(Ez 34; Offb 7, 9.14b-17; Joh 10, 27–30)
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist erstaunlich, dass man in der Osterzeit keine einzige Lesung aus dem 1. Testament zu hören bekommt. Fast scheint es, als gäbe es im 1. Testament keine hoffnungsvollen Texte über den Tod hinaus. Dabei ist das mitnichten so, wie schon ein Blick in das Buch der Psalmen zeigt.
Und natürlich gibt es auch für den heutigen „Gute Hirte Sonntag“ im 1. Testament Texte vom guten Hirten „Gott“, wie wir bei Ezechiel im Kapitel 34 gehört haben. Offensichtlich hatten schon immer gerade jene große Mühe ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die sich gerne „Hirten“ nannten bzw. waren, religiös wie politisch. Ezechiel 34 liest sich wie eine Abrechnung mit Hirten, die ihre Macht vor allem für sich selbst missbrauchten, denen an den ihnen Anvertrauten nicht wirklich etwas lag. Kein Wunder, dass die Menschen aller Zeiten von Hirten träumten, die wirklich gut waren und es auch radikal gut meinten. Doch bis heute gibt es zu viele Menschen, die schlechte Hirten in große Bedrängnis brachten, ja die nie zu einem menschenwürdigen Leben finden durften. Man müsste für sie einen Himmel erfinden, der ihnen gibt, wonach sie sich ein Leben lang vergeblich gesehnt hatten.
Die Vision des Johannes aus dem Buch der Offenbarung ist ein österlicher Zukunftstraum für alle Menschen, die aus den großen Bedrängnissen des Lebens kommen. Da geht es natürlich nicht nur um verfolgte und bedrängte Christen, sondern um eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen (Offb 7,9). Gott ist kein Gott, der nur einer Gruppe gehört. Nein, er ist der Gute Hirte aller Menschen und Geschöpfe. Schließlich sind sie alle seine geliebten Kinder. Er will, dass niemand aus seiner himmlischen Zukunft ausgeschlossen ist, schon gar nicht jene, denen das Leben und schlechte Hirten übel mitgespielt hatten.
„Das Lamm“ in dem Text ist kein beängstigendes Symbol, sondern eine Zuspitzung des Guten Hirten, der trösten, Tränen abwischen und erfülltes Leben schenken möchte. Dieses Lamm, das den Auferweckten symbolisiert, hat zu irdischen Lebzeiten vorgelebt, was Gute-Hirte-Sein bedeutet. Denn er wollte zwar auch eine kraftvolle, österliche und tröstliche Zukunft für alle über den Tod hinaus. Vor dem Tod aber hat er alles getan, um auch ein lebenswertes, irdisches Leben zu ermöglichen und darin die Nähe Gottes, Reich Gottes genannt, anzusagen und erfahrbar zu machen.
Das bleibt Aufgabe für alle, die sich, so gut sie können und im Blick auf den Guten Hirten, darum bemühen, selber eine gute Hirtin, ein guter Hirt, zu sein – ob nun als Mutter oder Vater, als Bruder oder Schwester, als Freundin oder Freund, als Geliebte oder Geliebter oder als was und wer auch immer. Sie alle sind in jedem Fall dann Sakramente des Guten Hirten. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)