(Zef 3, 14–20; Phil 4, 4–8; Lk 6, 39–45)
Liebe Schwestern und Brüder,
manchmal klingen biblische Texte so einfach, manchmal klingen sie wie eine Fremdsprache, wie mit Gedanken, die nicht mehr die von uns heute im Jahre 2025 sind. Und manchmal sind sie natürlich auch eine Zumutung.
Eine Frage, die Jesus uns heute im Evangelium stellt, legt ein Problem offen, das fast alle Menschen betrifft und auch gesellschaftlich wie religiös von großer Dringlichkeit ist. .
Gerade auch die Anonymität sozialer Medien macht manche Menschen geradezu zu asozialen Menschen, wenn sie andere Menschen gnadenlos runter- und fertigmachen, weil sie meinen, einen gravierenden Splitter zu sehen. Aber auch jene, die hohe, moralische Ansprüche vertreten, beißen sich gerne an Splittern im Auge anderer fest, um den Balken im eigenen Auge nicht sehen zu müssen.
Wenn wir eine menschlichere und barmherzigere Gesellschaft und Kirche wollen, dann müssen wir uns intensiv die Frage stellen, die Jesus heute im Evangelium stellt: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ (Lk 6, 41)
Jesus war kein Sünderjäger, noch hat er Gott zu einem Oberstaatsanwalt angeblich moralischer Vollkommenheit degradiert. Jesus hat den konkreten Menschen geliebt, der immer Grenzen, Fehler und Schwächen hat. Und er hat diese konkreten Menschen nicht an den Pranger, sondern an das Herz Gottes gestellt. Wenn Jesus harsche Worte fand, dann für diejenigen, die sich selbst für heilig und makellos hielten und daraus das Recht ableiteten, die in ihren Augen Unheiligen und Makelbehafteten klein und rund zu machen. .
Es ist eine Wohltat und eine Befreiung, wenn man nicht mehr nur die Rolle eines Gutmenschen auf allerhöchsten Niveau spielen muss, sondern zu seinen Grenzen, seinen Fehlern und Schwächen stehen darf. Wo sich das Menschen gegenseitig und achtsam erlauben, entsteht eine Gemeinschaft, die wohltuend und heilsam ist und in der das Geheimnis der Liebe Gottes eher aufleuchtet, als da, wo alle und alles nur in einem bestimmten Sinne „heilig“ und „vollkommen“ sein muss. Im Grunde macht Jesus uns mit seiner Frage deutlich, dass wir mit unserem Balken im eigenen Auge ein Leben lang zu tun haben werden und niemals anfangen können, die Splitter anderer aus deren Augen herauszuziehen.
Wie gesagt: Jesus kritisiert nicht, dass wir Balken und Splitter in unseren Augen und in unseren Herzen haben. Er kritisiert das scheinbar selbstverständliche Recht von Menschen, auf andere herabzublicken, sie abwerten zu dürfen und so liebeloses Verhalten ihnen gegenüber locker zu rechtfertigen. Leider trifft das nicht selten besonders auf jene zu, die sich für sehr religiös und moralisch halten.
Barmherziger und liebevoller mit anderen umgehen, werden wohl jene, die barmherziger und liebevoller mit ihrem eigenen Balken umgehen. Und das dürfen wir an und mit einem Herzen heilsam annehmen und lernen, der einen sehr liebevollen und barmherzigen Blick auf uns und unser Leben hat.
Das aber ist doch wirklich ein tiefer Grund, voll Hoffnung und Freude zu sein, der am Aschermittwoch nicht enden muss. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)