(Sir 3, 2–6.2–14; 1 Joh 3, 1–14; Lk 2, 41–52)
Liebe Schwestern und Brüder,
vor einiger Zeit war ich zum Hausbesuch bei einer älteren Dame. Da kamen wir auch ins Gespräch über Eltern und Kinder. Und da sagte sie: „Ein Kind ist kein Kind!“ Darauf erwiderte ich, dass die „Heilige Familie“ offiziell doch auch nur ein Kind hatte. Da mussten wir beide lachen und ich glaube, sie hat darüber noch eine Weile nachgedacht.
Nun muss ich natürlich auch alle Einzelkinder in Schutz nehmen. Denn rein wissenschaftlich lässt sich nicht belegen, dass sie problematischere Kinder wären als da, wo mehrere Kinder sind. Wie so oft im Leben hat alles seine Vor- und Nachteile. Laut Evangelium können wir in jedem Falle schon mal festhalten, dass eine heilige Familie keine heile Familie ist. Denn so lustig ist es nicht, wenn das Kind, ohne was zu sagen, einfach in der Stadt bleibt, während die Eltern nach Hause ziehen. Und ich fände es auch ziemlich unverschämt, wenn auf die geäußerten Sorgen und Ängste der Eltern nur die Antwort käme: „warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2, 49). Bei aller Liebe zur Gottessohnschaft finde ich das schon etwas grenzwertig.
Viele Eltern mit pubertierenden Kindern werden also Maria und Josef gut verstehen. Vielleicht will uns diese Geschichte auch sagen, dass Kinder einfach ihren Weg gehen müssen und kein Eigentum der Eltern sind. Das ist natürlich auch leicht gesagt und soll keineswegs infrage stellen, was Väter und Mütter, was besonders auch Alleinerziehende, alles für ihre Kinder tun und worauf sie verzichten. Das kann nicht hoch genug geschätzt werden und dafür dürfen Kinder auch mal Danke sagen. Dennoch wissen alle Eltern, dass Kinder ihren Weg gehen müssen. Das ist sicher oft nicht leicht zuzulassen, aber dennoch eine schmerzliche Seite von Liebe.
Unabhängig von Blutsfamilie meine ich aber, dass der Begriff „Familie“ ein tiefes Symbol dafür ist, dass wir alle liebevolle und tragfähige Beziehungen brauchen, um halbwegs glücklich leben zu können. Das kann und sollte möglichst die Blutsfamilie sein. Das ist sie aber nicht immer. Heilige Familie ist eben überall dort, wo ich geliebt werde, wo ich im Herzen von Menschen ein Zuhause habe, wo ich Zuhause gewähre mit Türen und Fenstern, die nicht verschlossen sind. Im Zuhause einer solchen Liebe und Familie kann man wachsen und reifen, kann man ohne Angst bleiben und darf man ohne Angst seinen Weg gehen.
Die Erfahrung einer solch‘ „heiligen Familie“ wünsche ich uns allen.
Und am Ende dieses Jahres wünsche ich unserer Menschheitsfamilie, dass sie sich als Schwestern und Brüder versteht und achtet. Das wünsche ich auch der Schöpfungsfamilie. Denn „heilig“ ist ein Mensch, ein Geschöpf, eine Gemeinschaft, eine Familie immer dann, wenn der Heilige Geist der Liebe ein Klima schafft und schaffen darf, in dem Leben wachsen, heilen und das werden kann, wovon der Himmel schon seit Ewigkeiten geträumt hat. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)