(Num 6, 22–27; Gal 4, 4–7; LK 2, 16–21)
Liebe Schwestern und Brüder,
der erste Tag des Jahres ist gleich wieder mit Bedeutungen überlastet. Vielleicht sollte man ja mal lernen, nicht immer so viel in einen Tag zu packen. Als käme es darauf an, uns zu beweisen, was wir alles an einem Tag so schaffen. Aus dieser Erfahrung könnte der Vorsatz erwachsen, die Tage nicht so zu überlasten, weil sie am Ende nur unsere Seelen belasten.
Heute ist also Neujahr, das Hochfest der Gottesmutter Maria, Oktavtag von Weihnachten und Weltfriedenstag. Wenn wir einen Blick auf das Hochfest werfen, dann geht es ja zunächst gar nicht um Maria, sondern um ihren Sohn Jesus, dessen Gottessohnschaft in dem Begriff der „Gottesmutter“ festgehalten werden soll. Ein bisschen wird ja Maria immer etwas benutzt, zumindest was manche Mariendogmen betrifft, um Aussagen zu Jesus zu machen.
Aber schauen wir doch am ersten Tag des Jahres tatsächlich mal nur auf Maria, von der im Evangelium im Vers 19 gesagt wird: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.“ Mir scheint, dass das eine Eigenschaft Mariens ist, die besonders auch für das Jahr 2023 von großer Bedeutung sein könnte. Mit Worten ist es nämlich so ähnlich wie mit Früchten. Sie müssen reifen. Aber den Worten geht es da heute wie den Früchten. Sie müssen sehr schnell und am besten zu allen Zeiten reifen, teilweise werden sie unreif gepflückt und müssen irgendwie nachreifen. Jeder von uns weiß, dass z.B. Tomaten dann am besten schmecken, wenn sie saisonal und zeitgemäß reifen durften. Und so ist es eben auch mit Worten. Worte dürfen oft nicht reifen, sie müssen jeder Zeit zur Verfügung stehen und schmecken am Ende nach – nichts.
Maria lehrt uns, dass auch Worte reifen müssen, dass sie den Raum der Erwägung und des Schweigens brauchen, um nicht nur hohl zu sein.
Interessanterweise und ganz biblisch hat das Erwägen nicht zuerst etwas mit dem Gehirn zu tun, sondern mit dem Herzen. In der Bibel und so auch bei Maria denkt das Herz. Herz, Verstand, Stille und Schweigen sind also nötig, damit Worte Gewicht bekommen, Reife, die keinen Schaden anrichtet. Es wäre zu überlegen, ob wir nicht am Beginn des Jahres über eine derartige Wortreifung nachdenken sollten.
Natürlich kann es auch sein, dass ein solch gereiftes Wort gar nicht ausgesprochen werden muss. Manchmal stellt das Herz vielleicht fest, dass es für das Erwogene gar keine Worte gibt. Dann ist tatsächlich Schweigen Gold. Aber leider leben wir wohl in einer inflationären Silberzeit.
So möge Maria uns helfen, Worte, die wir hören, erst einmal zu bewahren und sie zu erwägen, vielleicht auch zu wiegen, Worte reifen zu lassen und sie dann möglicherweise zu gebären, falls sie dem Leben und der Liebe dienen. Das könnte auch das Miteinander im Jahre 2023 ganz marianisch positiv beeinflussen. Ansonsten ist Schweigen auch mal eine interessante Option, vor allem da, wo es von unreifen Wortschwallen nur so wimmelt. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)