(Jes 63, 16b-17.19b; 64, 3–7; 1 Kor 1, 3–9; Mk 13, 24–37)
Liebe Schwestern und Brüder,
die biblischen Texte zum 1. Adventssonntag fördern erst einmal nicht die sog. „Adventsstimmung“. So schön und wichtig , wie diese ist, geht es doch nicht zuerst um schöne Gefühle, sondern um das bewusste Annehmen adventlicher Existenz. Dazu gehört, dass wir wach und nüchtern die sog. „Realitäten“ betrachten und nicht vor ihnen in Tagträume oder Ähnlichem davonlaufen. „Seid wachsam“, wie es im Evangelium heißt, bedeutet auch, seid achtsam. Bleibt wartende, offene Menschen, die um die Zerbrechlichkeit des Lebens wissen, um die Mühsal immer neu gewagten Vertrauens, das nicht einmal in Bezug auf Gott ein für allemal gewagt ist. Natürlich wollen wir alle Glaubenshelden sein und keine Zweifel haben, auch nicht im Bezug auf das Ende aller Dinge. Aber wir sind es nicht und können uns den Jesaja aus der 1. Lesung zum Vorbild nehmen, der die Dinge so ausspricht, wie sie sind und sie nicht religiös verklärt oder verdrängt. Wie wir, so wünscht sich auch Jesaja, eine deutlichere Erfahrung der Gegenwart Gottes in den Nöten des Lebens. Was für ein Fazit, wenn es in Jes 64, 6 heißt: „Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich auf, festzuhalten an dir!“ Denn nicht nur wir sind Wartende, Adventliche – Gott ist es auch. Er sehnt sich immer nach unserem Vertrauen, vor allem auch in den Unbegreiflichkeiten von Not, Krise und Leid. Wir, die wir uns oft gerade immer nur dann an Gott erinnern, wenn es uns schlecht geht, halten ihm dann unser „Warum“ vorwurfsvoll und fragend hin. Leider tun wir es so oft nicht, wenn es uns einfach nur gut geht. Zumindest habe ich noch nie ein Schild in dieser Intention gesehen. Fast scheint es, dass es zu selbstverständlich ist und wir meinen, es irgendwie verdient zu haben. Gott sehnt sich nach unserer Liebe, gar nicht mal so sehr nach jener, die ihm gilt, sondern nach jener, die unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen gilt. Denn sie alle, zu denen wir selbst gehören, haben adventliche Sehnsucht nach Wertschätzung und liebevoller Zugewandtheit. Gerade da kommt Gott uns entgegen, leuchtet sein Angesicht auf in jedem Angesicht, das wir zum Leuchten und lächeln bringen. „Du kamst dem entgegen, der freudig Gerechtigkeit übt“, heißt es in Vers 4. Das bedeutet Wachsamkeit und nicht schlafend zu sein, dass wir Lichter der Liebe entzünden und schützen und am Brennen halten. Wie wertvoll und wie heilsam sind gerade jetzt ein Lächeln und ein gutes Wort, eine unerwartete Freundlichkeit oder Rücksichtnahme, das Gefühl, gesehen, geachtet und wertgeschätzt zu sein.
Wie immer ein Ende oder die Vollendung dieser Welt aussehen mag: sie wird ein Geschenk Gottes sein, das uns jener überreicht, der sich „Menschensohn“ nannte und sich am Kreuz für uns und für Gott zu Tode geliebt hat. Dessen Geburt feiern wir Weihnachten. Seine liebevolle und entängstigende Nähe kann uns Tag für Tag Quelle der Kraft sein.
„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (1 Kor 1, 3). So sei es, so ist es. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)