15. Sonn­tag im Jah­res­kreis B (14.07.2024)

(Am 7, 12–15; Eph 1, 3–10; Mk 6, 7–13)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
Amos gilt als der äl­tes­te Pro­phet im 1. Tes­ta­ment. Er hat im 8. Jahr­hun­dert v.Ch. ge­lebt und ge­wirkt. In der 1. Le­sung ha­ben wir heu­te ein kur­zes Stück aus dem Buch Amos ge­hört. Es be­zeugt uns ei­nen Kon­flikt zwi­schen ei­nem amt­li­chen Pries­ter und dem Lai­en Amos, zwi­schen In­sti­tu­ti­on und Lai­en­tum, zwi­schen Macht und Cha­ris­ma.
Wie wir ge­hört hat­ten, lehn­te Amos es ab, Pro­phet oder Pro­phe­ten­schü­ler zu sein. Er ge­hör­te al­so nicht zu ei­ner of­fi­zi­el­len Pro­phe­ten­grup­pe. Er war we­der theo­lo­gisch aus­ge­bil­det, noch hat­te er ei­nen of­fi­zi­el­len Auf­trag bzw. ei­ne or­dent­li­che Be­auf­tra­gung der re­li­giö­sen Be­hör­de, ge­nau­so wie  Je­sus von Na­za­reth spä­ter auch nicht.
Amos nennt sei­nen Be­ruf, näm­lich Vieh­hir­te und das Ver­edeln von Maul­beer­fei­gen. Dann kommt das gro­ße „Aber“. Gott hat ihn ein­fach und oh­ne zu fra­gen „weg­ge­nom­men“ aus sei­nem nor­ma­len Le­ben, al­so ziem­lich un­ge­fragt und un­er­war­tet, und ihn mit ei­nem Auf­trag für Is­ra­el be­traut. Die­ser Auf­trag war nicht lus­tig und we­nig ge­eig­net, sich Freun­de zu ma­chen. Er war auch kei­ne fro­he, from­me Bot­schaft oder der Auf­ruf der Rück­kehr zu stren­ge­rer Re­li­gio­si­tät. Wie fast bei al­len Pro­phe­ten schärf­te er al­so nicht re­li­giö­se Ge­bo­te und das Fest­hal­ten an sog. „ewi­gen Wahr­hei­ten“ ein. Nein, er muss­te in al­ler Schär­fe ei­ne Form von Glau­be und Re­li­gio­si­tät kri­ti­sie­ren, die zwar Wert auf den rech­ten Kult, auf Bu­ße, Fröm­mig­keit, Fas­ten und Be­ten leg­te, die aber kein Pro­blem mit gra­vie­ren­den und him­mel­schrei­en­den, so­zia­len Schief­la­gen, Un­ge­rech­tig­kei­ten und Lie­belo­sig­kei­ten hat­te. In der Re­gel be­traf das vor al­lem die re­li­giö­se und ge­sell­schaft­li­che Eli­te. Kein Wun­der ei­gent­lich, dass vie­le Pro­phe­ten ihr Le­ben ge­walt­sam ver­lo­ren und kaum ei­ner Lust hat­te, in die­sem Sin­ne Got­tes Pro­phet zu sein.
Es ist ty­pisch für Gott, dass er be­vor­zugt Lai­en be­ruft und je­ne, die kei­ner auf dem Schirm hat, al­so je­ne, die mög­li­cher­wei­se noch nicht ganz be­triebs­blind ge­wor­den sind. Und es ist ty­pisch für Gott, dass er zu­nächst als Ein­zi­ger sei­ne Stim­me er­hebt, um dar­an zu er­in­nern, dass das Fun­da­ment re­li­giö­sen Le­bens in sei­nen Au­gen Barm­her­zig­keit und Lie­be sind und dass dies bit­te­schön nicht fol­gen­los für das prak­ti­sche, all­täg­li­che Le­ben blei­ben darf, we­der re­li­gi­ös und ge­sell­schaft­lich, noch po­li­tisch.

Und ei­gent­lich ruft auch in ei­nem je­den von uns ein Pro­phet, zu­mal, wenn wir ge­tauft sind, zu, dass Barm­her­zig­keit und Lie­be auch uns sel­ber gel­ten. Vie­len von uns ver­langt das Le­ben viel ab, manch­mal gar bis an die Gren­zen des Mög­li­chen. Dar­über ver­ges­sen wir oft, dass wir auch ei­ne Pflicht zur Selbst­für­sor­ge ha­ben. Wir müs­sen uns selbst mehr Lie­be und Barm­her­zig­keit schen­ken, mehr Frei­heit von Er­war­tun­gen von au­ßen für die Be­dürf­nis­se un­se­rer ei­ge­nen See­le und un­se­res Lei­bes.
Das könn­te doch viel­leicht auch im Ur­laub ein Ver­such wert sein, wenn er nicht nur ei­ne Ver­län­ge­rung des All­tags sein soll. Mö­gen wir auf die­se pro­phe­ti­sche Stim­me in uns hö­ren und auch den Mut ha­ben, im Geist des Pro­phe­ten Amos un­se­re Stim­me zu er­he­ben, wo Mensch­lich­keit, Barm­her­zig­keit und Lie­be auf der Stre­cke blei­ben. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)