(Jer 23, 1–6; Eph 2, 13–18; Mk 6, 30–34)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich mich aus einem Trubel zurückziehen würde, um auszuruhen und allein zu sein, wäre ich wenig begeistert, wenn dieser Trubel mir einfach folgen würde und sogar schon da wäre, bevor ich angekommen bin. Ich hätte da wohl vermutlich kein Gefühl des Mitleids, sondern des Ärgers verspürt. Jesus hat aber im Evangelium Mitleid mit den vielen Menschen, das begründet wird mit den Worten: „denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (V34). Kann es nicht sein, dass es auch heute viele Menschen gibt, die nach Rat und Sinn suchen, nach Lebenstiefe und Spiritualität, nach Wertschätzung und Anerkennung über alles Leistenmüssen hinaus, nach Ruhe und inneren Frieden in einer Welt, die immer schneller zu werden scheint und irgendwie auch härter und friedloser? Kann es sein, dass Religionen und ihre Hirten viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, sich zu viel um die Institution sorgen und kümmern und den Menschen nur den moralischen und dogmatischen Zeigefinger zeigen? Dabei haben sie doch so große, spirituelle Reichtümer anzubieten, das Christentum allemal! Und kann es sein, dass wir uns zu sehr in die Vergangenheit träumen und von Menschen, die vor allem gehorsam sind?
Ja, auch heute gibt es viele Menschen, innerhalb und außerhalb von Kirchen und Religionen, die wie Schafe sind, die keinen Hirten haben! Die nicht das Gefühl haben, dass man sich für sie und ein gelingendes Leben interessiert. Zur Zeit Jesu gab es doch genügend Hirten, aber eben offensichtlich nicht solche, die man als „Gute Hirten“ bezeichnen würde.
Jesus muss ein Mensch gewesen sein, der den Menschen aus dem Herzen sprach, dessen Worte nicht leer, sondern von Nahrung spendender Tiefe waren, der Menschen so begegnen und sie anschauen konnte, dass sie in der Begegnung mit ihm heiler wurden an Seele und Leib, die unter seinem Blick Ansehen und Wertschätzung erfuhren, gerade auch in aller Gebrochenheit des Lebens. Jesus erzählte anders von Gott. Er machte aus einem kalten, gnadenlosen und zornigen Gott einen warmen, zärtlichen und liebevollen, in seinen Geschichten, wie aber vor allem in seinen Taten, die er als Zeichen des wunderbar und heilsam nahen Gott bezeugte und deutete. Er machte den Menschen Mut, sich nur auf einen Hirten restlos zu stützen und ihm zu vertrauen, nämlich auf den, den er selber zärtlich „Abba“, also „Papa“, nannte und dem der konkrete Mensch, sowie Liebe und Barmherzigkeit wichtiger waren, als bloße Gebote und Verbote, als Opfer und nur äußerlicher, schöner Kult. Als Kinder Gottes sollten sich die Menschen geliebt fühlen und nicht als Sünder, denen Gott weder das Leben vor, noch nach dem Tode gönnte.
Ihm ging es auch nicht um die Gewinnung von Mitgliedern, nicht um heilige Traditionen, die unter allen Umständen und mit allen Mitteln bewahrt werden müssten. Ihm ging es wirklich um den konkreten Menschen, um sein Glück und sein Heil für Seele und Leib, das man in seinem Abba-Gott finden und als beschützt erfahren sollte.
Vielleicht ist auch dieses Vertrauen ein „Raum“, ein „einsamer Ort“, wo man ein wenig ausruhen kann. Aber wir sollten auch einander solche „Orte“ anbieten und selber solche „Orte“ sein, wo Menschen bedingungslos sein und ausruhen dürfen von einem Leben, das viel von ihnen abverlangt. Das wünsche ich einem jeden von uns, in Gottes Namen, dem Guten Hirten für Zeit und Ewigkeit. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)