(1 Sam 3,3b–10.19; Joh 1, 35–42)
Liebe Schwestern und Brüder,
in der Einleitung zu dieser Eucharistiefeier hatte ich schon darauf hingewiesen, dass die Berufungsgeschichten heute keine Exklusivgeschichten für geistliche Berufungen sind, sondern einem jeden von uns gelten. Denn immer wieder ergeht der Ruf Gottes an uns, aufzubrechen aus festlegenden und erstarrten Formen der Nachfolge, des religiösen Lebens und Denkens. Dabei brauchen wir immer wieder Menschen, die erfahren und reif genug sind, um uns zu helfen, unseren ureigenen Weg mit Gott und in unserem Leben zu finden.
Diese Menschen aber sind keine Gurus, die uns sagen müssten, wo es lang geht, nein, sie sind wie Geburtshelfer, die uns helfen, wieder mehr auf Gott Hörende zu sein. Solche Leute waren der alte Priester Eli in der 1. Lesung, Johannes der Täufer im Evangelium und natürlich nicht zuletzt Jesus selber. Sie alle banden nicht Menschen an sich, sondern an das Geheimnis Gottes.
Ein großes Vorbild in dieser Hinsicht ist für mich immer Johannes der Täufer, der seine Jünger gehen lässt, wenn diese sich neu orientieren wollen. Manchmal sind wir für andere Menschen eine Zeitlang wichtig. Manchmal sind andere Menschen für uns eine Zeitlang wichtig. Aber es kann sein, dass man weitergehen muss, um sich ganz an das Geheimnis Gottes und des eigenen Lebens zu binden, seiner inneren Stimme zu folgen, die uns in unser ureigenes Leben ruft.
Auch uns fragt Jesus, wie im Evangelium die beiden Jünger: „Was sucht ihr?“ Was wollt ihr eigentlich? Diese Jünger fragen ihrerseits: „Wo wohnst du?“ Sie wollen wissen, woraus er lebt, wo er innerlich zu Hause, was das Fundament seines Lebens ist. Und Jesus hält ihnen keinen Vortrag, lässt sie nicht auf die Bibel oder Dogmen schwören, sondern antwortet einfach: „Kommt und seht!“ Kommt und macht eure eigenen Erfahrungen. Schaut, ob das für euch passt, ob das eurer inneren Stimme und Suche am nächsten kommt.
Jesus hat zwar Menschen in seine Nachfolge gerufen, aber nicht, um auf sich selbst, sondern immer auf Gott zu verweisen. Dieser Hinweis war keine Theorie, kein religiöses Konstrukt, sondern das sichtbare und spürbare heiler werden vieler Menschen.
Wenn Johannes der Täufer seinen Jüngern sagt, als Jesus vorüberging: „Seht das Lamm Gottes“, dann heißt das nicht notwendigerweise, dass es hier um ein Opferlamm geht, sondern um einen Menschen, der Gott zutiefst liebevoll und angstfrei verkündet und erfahrbar macht. Ein Lamm macht keine Angst, es weckt unsere Liebe. Genau so wollte Jesus Gott nahe bringen, nicht als einen Richter, nicht als Angstmacher, nicht als fragwürdige Erziehungsmethode, mit der man Menschen Angst machen und Gehorsam eintrichtern kann. Nein, Gott sollte ein warmes Zuhause sein, ein „Ort“, der sich wie Heimat anfühlt, ein Menschenzusammenbringer, einer, der nicht nur Heil für Seele und Leib verspricht, sondern es wirklich ist.
Samuel soll hören, die Jünger sollen sehen. Es geht also um eigene Erfahrung, um Hören und Sehen, das uns nicht vergehen, sondern geschärft werden soll, für den Sinn unseres Lebens, für ein Miteinander nicht im Sinne eines einander Wolf, sondern einander Lamm Seins, für einen Glauben, der heilsam und im wirklichen Leben tragfähig ist. Dazu möge uns Gottes Geist verhelfen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)