(Jes 35, 4–7a; Jak 2, 1–5; Mk 7, 31–37)
Liebe Schwestern und Brüder,
es wird immer wieder behauptet, dass Jesus die Erfüllung der Verheißungen aus dem 1. Testament ist. Erste Lesung und Evangelium scheinen das zu bestätigen. Allerdings ist diese Behauptung aus mehreren Gründen falsch. Es ist nicht recht und auch verletzend, wenn man die Heilige Schrift des Judentums lediglich als Verheißung sieht und sie so einfach christlich vereinnahmt. Auch im 1. Testament werden Verheißungen wahr, wird nicht nur versprochen und dann nicht erfüllt. Denken wir nur an den Exodus, an die Heimkehr aus dem Babylonischen Exil, an viele Wunder und Heilungen. Jesus als Jude und nicht als erster Christ führt fort, was sein Abba-Gott, der „Ich-bin-da“ immer schon am liebsten getan hat: Menschen zu heilen, sie in die Weite zu führen, zu befreien und in dieser frohmachenden Erfahrung die wunderbare Nähe Gottes zu spüren. Freilich bleiben Verheißungen über den Tod hinaus. Denn in unserem irdischen Leben scheint nichts endgültig, gibt es Vieles, immer wieder, das Angst macht und verzagt. Und so spricht jeder in Gottes Namen, der uns ermutigt, trotz und in allem Vertrauen zu wagen, Gottes „Fürchte dich nicht“ im Herzen zu spüren, heilsam für Seele und Leib. Da sehen die Augen wieder mehr Gutes, hören die Ohren wieder heilsame Worte, finden die Sprachlosen ihre Sprache wieder, fangen die Gelähmten an Seele und Leib wieder an, vor Freude zu tanzen und zu springen. Aber nicht nur die Menschen, auch die Natur wird geheilt, wenn in der Wüste Wasser hervorbricht und durstendes Land zu sprudelnden Wassern wird. Man mag sich ja auserwählt fühlen, aber für und vor Gott sind alle Menschen seine Kinder, was auch Jesus bestätigt, wenn er im heidnischen Gebiet der Dekápolis einen Heiden heilt. „Öffne dich!“, gilt nicht nur dem konkreten Taubstummen, sondern allen, die in ihrem Gefühl des Auserwähltseins blind und taub geworden sind für die Gegenwart Gottes gerade da, wo man meint, missionieren zu müssen.
Manche Menschen muss man aus der Menge weg zu sich selbst befreien, weil die Menge nicht selten Blindheit und Taubheit produziert.
Das geschenkte Heil zu vermarkten, schadet diesem nur. Erstaunlich ist auch, dass bei der Heilung des Taubstummen nicht direkt von Gott gesprochen wird. Aber die, die sehen und hören wollen und denen das Sehen und Hören noch nicht vergangen ist, spüren, wie Jesus mit der Kraft der Liebe heilt und dass er es in Gottes Namen tut, damit nicht nur verheißen, sondern jetzt schon erfüllt und erfahren werden soll. Möge dies uns selbst zur Erfahrung werden. Mögen wir dies in Gottes Namen anderen und der ganzen Schöpfung Gottes, unterschiedslos, zur heilsamen Erfahrung werden lassen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)