(Gen 2, 18–24; Hebr 2, 9–11; Mk 10, 2–16)
Liebe Schwestern und Brüder,
wie schon oft gesagt, haben die 1. Lesung und das Evangelium einen Bezug zueinander. So mancher wird vielleicht schon beim Hören die Augen verdreht haben und gespannt sein, was dazu gesagt wird. Wie so bei Vielem, ist es nicht unerheblich, was für eine Brille man aufhat und was man gerne möchte, das am Ende rauskommen soll. Gerade auch in angeblich streng katholischen Kreisen tut man so, als gäbe es keine biblische Wissenschaft, die uns viele, tolle Einsichten geschenkt hat, und man müsste die Bibel ganz und gar wörtlich nehmen. Ich wünschte mir allerdings, dass man die Texte wörtlich im Sinne der Verfasser nimmt.
Wöllte man die Texte von heute ausführlich betrachten, würde es den Rahmen einer Predigt sprengen. Ich beschränke mich darum in der Predigt auf einige Sätze, die besonders von Männern, mit oder ohne Amt, fragwürdig ausgelegt und missverstanden werden.
Schon bei den ersten beiden Sätzen der 1. Lesung fangen die Missverständnisse an. „Gott, der Herr, sprach: es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist“ (V18). Es heißt hier nicht, dass es nicht gut sei, dass der Mann allein ist, sondern der Mensch. Es heißt auch nicht, dass alle heiraten müssen. Jeder Mensch braucht Gegenüber, Wegbegleiter, die ihm eine wirklich Hilfe auf dem Lebensweg sind. Mit „Hilfe“ ist aber keine Hilfskraft im abwertendem Sinne gemeint, sondern jemand, der zuhören kann, wirkliche Nähe schenkt, Trost, Orientierung etc. Hilfe sein, ist keine einseitige Angelegenheit, sondern die Fähigkeit, sie auch annehmen zu können, sie zu schenken, ohne daraus gleich eine Machtangelegenheit daraus zu machen.
Tiere sind wundervolle Wesen. Sie können uns viel schenken und unser Leben bereichern. Aber für lebenswichtiges Wachsen und Reifen eignen sie sich oft nicht, so wie wir auch für einen Wellensittig kein guter Ersatz für einen anderen Wellensittig sind. Der Mensch braucht einen Menschen, um Mensch werden zu können. Das meint auch die Rippe, was im hebräischen Urtext eher „Bauteil“ heißt, und ein menschliches Gegenüber meint.
Erst die Erschaffung der Frau macht in dieser Geschichte den Menschen zum Mann, als Paradebeispiel dafür, wie notwendig menschliche Beziehung ist.
Diese tiefe Verbundenheit in menschlicher Beziehung kommt auch in jenem Satz zum Ausdruck, der im Deutschen geradezu falsch wird. „Frau soll sie genannt werden; denn vom Mann ist sie genommen“, so heißt es in Vers 23. Damit kann wunderbar jegliche Art von Patriachat und die Unterordnung der Frau begründet werden. Leider war dies aber nicht die Absicht der Verfasser. Denn im Hebräischen wird der Sinn dieser Stelle schon semantisch deutlich, wenn es dann heißt: Ischa soll sie heißen, denn vom Isch ist sie genommen! Sprachlich soll die tiefe Verbundenheit zum Ausdruck kommen und nicht eine Minderwertigkeit der Frau oder Überlegenheit des Mannes.
Wie gesagt, es geht hier noch gar nicht um die Ehe, sondern um tiefes, menschliches Bezogensein und Aufeinanderangewiesensein. Es ist auch falsch und kurzsichtig, wenn man das „was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,9) nur auf die Ehe bezieht. Dieser Satz gilt grundsätzlich im männlichen und weiblichen Miteinander. Wer also behauptet, das Weibliche irgendwo ausschließen zu müssen, der verletzt das Gebot: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen!“
Und wer weiß, ob jede Beziehung von vornherein von Gott verbunden ist. Der Mensch hat auch ein Recht, in Beziehungen zu wachsen und zu reifen, ja und auch zu scheitern, um vielleicht zu jener Verbundenheit zu finden, die ihm wirklich eine Hilfe ist in seinem menschlichen Wachsen und Reifen. Dazu muss man im übrigen nicht notwendigerweise verheiratet sein.
Und was haben die Kinder im Evangelium mit all‘ dem zu tun? Kinder brauchen quasi überlebensnotwendig zum Wachsen und Reifen tragfähige, verlässliche und liebevolle Beziehungen, Ausgewachsene freilich auch.
Für Menschen, die zu glauben versuchen, ist die Grundbeziehung zu Gott wesentlich. In Seinen Augen sind wir alle Kinder Gottes, seine Töchter und Söhne, die er immer, wie Jesus im Evangelium die Kinder, in seine Arme nehmen und segnen will, damit sie einander als Geschwister in Gott wertschätzen.
Diese Vertrautheit in und mit Gott war auch von Anfang an gewollt. Sie öffnet uns auch die Augen und Herzen dafür, dass unser Miteinander, in welchen Konstellationen auch immer, von Augenhöhe, Wertschätzung und einander Hilfe sein geprägt sein möge, in dem Machtspielchen, Gewalt und Rassismus jeglicher Art einfach nur Fremdwörter sind. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass uns genau diese Botschaft durch die Lesungen des heutigen Tages in die Herzen fallen soll. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)