Pre­digt zu den Le­sun­gen vom 20. Sonn­tag im Jah­res­kreis – (16.08.2020)

(Jes 56,1.6–7; Röm 11,13–15.29–32; Mt 15,21–28)

Pre­digt von P. Tho­mas Röhr OCT — Audioversion

Lie­be Schwes­tern und Brüder,

weit weg er­schei­nen die bi­bli­schen Tex­te von un­se­rer Wirk­lich­keit heu­te. Und doch sind sie ak­tu­ell, wol­len sie aus re­li­giö­ser En­ge be­frei­en und von der Ver­su­chung, Iden­ti­tät durch Ab­gren­zung zu be­grün­den, was wie­der­um nicht sel­ten mit Ab­wer­tung der an­de­ren ein­her­geht. Wie heu­te, so gab und gibt es im­mer in al­len Re­li­gio­nen ver­schie­de­ne Strö­mun­gen, die manch­mal kaum zu­ein­an­der pass­ten und pas­sen. Die ei­nen gren­zen ab, die an­de­ren nicht. Wie­der an­de­re le­gen gro­ßen Wert auf kul­ti­sche Kor­rekt­heit, auf Leh­re und Ein­hal­tung von Ge­set­zen. De­nen ge­gen­über ste­hen je­ne, die eher die so­zia­le Di­men­si­on des Glau­bens be­to­nen. Ein Bei­spiel da­für ist der Text aus dem Buch Je­sa­ja. Auf­grund der un­ter­schied­li­chen Zeit­hin­ter­grün­de der Tex­te in dem Je­sa­ja­buch sind sich die For­scher ei­nig, dass es drei Je­sa­ja­grup­pen in un­ter­schied­li­chen Zei­ten ge­ge­ben ha­ben muss. Es gibt den Je­sa­ja, der vor dem Exil schrieb, es gibt den Deu­tero­je­sa­ja, der im Exil schrieb (ab Ka­pi­tel 40) und es gibt den Tri­to­je­sa­ja, al­so ei­ne drit­te Grup­pe von Je­sa­ja­schü­le­rIn­nen, die nach dem ba­by­lo­ni­schen Exil ein­zu­ord­nen sind, al­so in das frü­he 6. Jahr­hun­dert v.Ch..
Ge­ra­de­zu re­vo­lu­tio­när ist ih­re Über­zeu­gung, Zu­ge­hö­rig­keit zu Gott nicht an kul­ti­schen Vor­schrif­ten fest­zu­ma­chen, nicht an der Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­nem er­wähl­ten Volk, son­dern an der Ein­hal­tung von Recht und Ge­rech­tig­keit. Kin­der Got­tes, Töch­ter und Söh­ne Got­tes, sind die, die Ver­trau­en (Glau­ben) und Lie­be zu le­ben ver­su­chen. Die Tau­fe be­stä­tigt die­se Tat­sa­che und schafft sie nicht. Dass die Bot­schaft Je­su für al­le Men­schen of­fen ist, war ei­ne Exis­tenz­fra­ge des jun­gen Chris­ten­tums. Pau­lus spielt dar­in ei­ne her­aus­ra­gen­de Rol­le.
Im Evan­ge­li­um er­scheint uns Je­sus zu­nächst sehr un­barm­her­zig und hart. Er igno­riert die Bit­te der na­men­lo­sen Frem­den, weil er meint, nur für ei­ne be­stimm­te Grup­pe ge­sandt zu sein. Ein­zig der ver­trau­ens­vol­len Hart­nä­ckig­keit der na­men­lo­sen Frau und der Of­fen­heit Je­su für die un­ge­wohn­ten We­ge des Geis­tes Got­tes ist es zu ver­dan­ken, dass Je­sus sich be­kehrt und Gott wie­der ein­mal das Ex­em­pel sta­tu­ie­ren kann, wor­um es Ihm geht. Ge­nau das lernt und ver­steht Je­sus an je­ner Frau, die so­gar Je­sus selbst ab­schät­zig als „klei­nen Hund“ be­zeich­net, wie al­le ge­nannt wur­den, die nicht zu den sog. „Aus­er­wähl­ten“ ge­hör­ten. Was Got­tes Kin­der al­so mit­ein­an­der ver­bin­det, egal, wo und wie sie sich sel­ber ver­wur­zeln, das ist Ver­trau­en und Lie­be. Dar­auf grün­det sich christ­li­che Iden­ti­tät und in dem barm­her­zi­gen, lie­be­vol­len Ge­heim­nis Got­tes.
Al­le re­li­giö­sen We­ge, Me­tho­den und Übun­gen sol­len zu die­sen Hal­tun­gen füh­ren und sie be­stär­ken. Tun sie es nicht, ha­ben sie vor Gott kei­nen Wert. Die­se Hal­tun­gen sind dann je­ne Iden­ti­tät, die uns Men­schen ver­bin­det, auch mit un­se­ren Mit­ge­schöp­fen und mit un­se­rer Mut­ter Er­de, die wir nicht nur um un­se­ret­wil­len und zu­künf­ti­ger Ge­ne­ra­tio­nen be­wah­ren wol­len und sol­len. Die­se Wer­te sind das Fun­da­ment für Frie­den und Ge­rech­tig­keit und für die Be­wah­rung der Schöp­fung. Da­für brau­chen wir die Kraft des Geis­tes Got­tes, der uns und mög­lichst vie­le Men­schen mit sei­nem Feu­er ent­zün­den und mit sei­nem Le­bens­atem er­fül­len mö­ge. Amen.

P. Tho­mas Röhr OCT