(Bar 5, 1–9; Phil 1, 4–6.8–11; Lk 3, 1–6)
Liebe Schwestern und Brüder,
heute konnte man bei der 1. Lesung und dem Evangelium wieder sehen, wie sehr sie thematisch aufeinander bezogen sind. Inhaltlich geht es um die Erfahrung, dass Gott schon jetzt Heil zu wirken beginnt. Auch, wenn der Advent schon über den irdischen Horizont hinausblickt, so geht es doch immer zuerst auch um ganz irdische Wenden zum Guten und Besseren. In der 1. Lesung geht es um die Heimkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft, einen neuen Anfang, den Gott bewirkt. Jedenfalls sahen das die Israeliten so. Berge und ewige Hügel sollen sich senken, damit der Heimweg nicht so beschwerlich sei. Es ist ein Weg, der erleuchtet wird von dem Licht der Gegenwart Gottes, das die Menschen mit Freude erfüllt. Und das, wonach sich Menschen immer wieder sehnen, nämlich nach Erbarmen und Gerechtigkeit, das empfinden die Menschen zurecht als ein himmlisches Geschenk. Das war eine der grundlegenden Gotteserfahrungen Israels, die uns bis heute geschenkt sein sollen.
Die Worte des Johannes im Evangelium zitieren fast den Text der 1. Lesung, auch wenn aus dem Buch des Propheten Jesaja zitiert wird. Lange Zeit wurde dieser Text falsch übersetzt. Dies hat einmal mit der oft falschen Konzentrierung auf das menschliche Tun und nicht auf das Handeln Gottes zu tun. Zum anderen wollte man damit auch den Advent vor allem zu einer Zeit eigenen Bemühens machen. Wir sollten uns auf Gottes Kommen vorbereiten und die Straßen und Wege des Lebens für ihn bereiten. Ohne Zweifel muss man auch versuchen, adventlich zu leben, sein Leben so zu gestalten versuchen, dass wir nicht nur gelebt werden, sondern bewusster selber leben. Das bedeutet heutzutage oft, auch mal „Nein“ zu sagen und dem Mut zu haben, seinen eigenen Weg zu gehen. Aber den Advent, den uns das heutige Evangelium ans Herz legt, hat mit unserem Bemühen erst einmal nichts zu tun, sondern mit dem Bemühen Gottes, uns zu erreichen. Denn es heißt eben nicht mehr und hieß richtiger Weise noch nie, „Bereitet dem Herrn den Weg!“, so, als wüssten wir genau, wie. Nein, es heißt: „Bereitet den Weg des Herrn!“ (Lk 3,4).
Das ist ein großer Unterschied. Denn die Betonung liegt nicht auf uns, sondern auf dem Kommen Gottes und Seiner Art zu kommen, jetzt, in unser irdisches, konkretes, oft mühevolles, coronageplagtes Leben.
Aber was bedeuten denn nun konkret Seine Wege und Straßen? Das sind nicht so sehr unsere, frommen, moralischen Anstrengungen, sondern die Erfahrung von wundervoller Befreiung, von Heimkehren dürfen zu sich selbst und einem Leben, das unseres ist und nicht nur fremdbestimmt. Das ist die Erfahrung neuer Leichtigkeit für unser Leben, weil die Berge und Hügel so vieler Sorgen und Nöte einfach verschwunden und die krummen Wege plötzlich wieder gerade sind. Das ist die Erfahrung, dass eben nicht nur Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit unsere Zeiten prägen, nicht nur hasserfüllter Egoismus, sondern dass es Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe genauso geben, nur eben oft nicht so laut. Das ist so wunderbar, dass es nur als göttliches Wunder wahrgenommen werden kann. Aber alle Menschen sollen es sehen und erfahren und nicht nur glauben und darauf hoffen dürfen. Nicht unsere Trübsal will Gott, nicht eine Frömmigkeit, die nur finster dreinblicken kann, sondern eine befreite, freudige Leichtigkeit des Seins. Dieses Wunder erwarten und erleben zu dürfen, heißt adventlich leben. Dieses Gottesgeschenk ersehnen wir. Diese himmelgeschenkte Wende mögen wir sehen, spüren und erfahren dürfen. Dafür steht Advent das ganze Jahr über. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)