4. Fas­ten­sonn­tag C – Laet­a­re (27.03.2022)

(Jos 5, 9a.10–12; 2 Kor 5, 17–21; Lk 15, 1–32)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
es heißt heu­te am Be­ginn des Evan­ge­li­ums: „In je­ner Zeit ka­men al­le Zöll­ner und Sün­der“ zu Je­sus, um ihn zu hö­ren.“ (Lk 15, 1) Mit „Zöll­nern und Sün­dern“ sind al­le ge­meint, die nicht re­li­gi­ons­an­ge­passt le­ben und mo­ra­li­schen Stan­dards nicht ent­spre­chen, zu­min­dest je­nen nicht, die sog. „Pha­ri­sä­er und Schrift­ge­lehr­te“, al­so wirk­lich ernst­haft Re­li­giö­se, auf­ge­stellt ha­ben. Man soll­te auch nicht vor­schnell mei­nen, dass „Pha­ri­sä­er und Schrift­ge­lehr­te“ kei­ne gu­ten Men­schen sei­en und sind. Sie be­mü­hen sich tat­säch­lich, ein an­stän­di­ges, re­li­giö­ses Le­ben zu füh­ren und tun es auch. Da­bei ge­ra­ten sie aber lei­der häu­fig in ei­ne Ver­su­chung bzw. Fal­le, die Gott gar nicht ge­fällt. Sie ver­las­sen sich näm­lich zu­neh­mend auf ih­re re­li­giö­se Leis­tung und ver­lie­ren das, wor­auf Gott am Meis­ten wert legt: Lie­be und Barm­her­zig­keit.
Ich fra­ge mich, was die sog. „Zöll­ner und Sün­der“ so an Je­sus fas­zi­niert hat, dass sie al­le ka­men, „um ihn zu hö­ren“ (V1)? Wel­che „Zöll­ner und Sün­der“ heu­te, al­so all‘ die Un­an­ge­pass­ten und Aus­ge­grenz­ten, wür­den auf die Idee kom­men, ei­nen Papst, Bi­schof oder Pfar­rer un­be­dingt hö­ren zu wol­len? Was war bei Je­sus so an­ders, dass sie ihn al­le hö­ren woll­ten? Ga­ran­tiert nicht das The­ma „Ver­lo­re­ner Sohn“, wie das heu­ti­ge Gleich­nis trotz bes­se­ren Wis­sens im­mer noch in der neu­en Ein­heits­über­set­zung ge­nannt wird. Denn Je­sus er­zählt die­ses Gleich­nis al­len pro­tes­tie­ren­den „Pha­ri­sä­ern und Schrift­ge­lehr­ten“ nicht, um von an­geb­lich ver­lo­re­nen Söh­nen und Töch­tern zu spre­chen, son­dern dar­um, wie weit weg sein Got­tes­bild und sei­ne Got­tes­er­fah­rung von den ih­ri­gen war und ist. Und lei­der gilt das in vie­len Be­rei­chen des Chris­ten­tums noch bis heu­te. Erst, wenn die sog. „Zöll­ner und Sün­der“ nicht mehr von uns weg­ren­nen oder weg­ge­trie­ben wer­den, son­dern uns hö­ren wol­len und un­se­re Spra­che gar ver­ste­hen, dann be­steht Hoff­nung, dass sich wirk­lich was in die rich­ti­ge Rich­tung be­wegt. Dann hät­te sich Gott wie­der be­freit aus al­len dog­ma­ti­schen und mo­ra­li­schen Ge­fäng­nis­sen, in die man ihn so ger­ne ein­sperrt, um ei­ge­nen Tra­di­tio­nen fol­gen zu kön­nen und nicht dem Got­tes­bild Je­su, das so weit, so mensch­lich, so al­le Gren­zen spren­gend ist, dass es im­mer wie­der auch Angst macht, weil es so viel si­cher Ge­glaub­tes und Selbst­ver­ständ­li­ches in Fra­ge stellt.
Wir müs­sen sehr viel mehr Ver­ständ­nis für die Em­pö­rung der „Pha­ri­sä­er und Schrift­ge­lehr­ten“ ha­ben, weil sie uns in der Pra­xis viel nä­her ist, als die Pra­xis Je­su. Die­se macht mich im­mer wie­der sehr froh, vor al­lem das Got­tes­bild, das Je­sus in sei­nen Wor­ten und Ta­ten trans­por­tiert hat und trans­por­tiert.
Wenn heu­te in die­sem Gleich­nis, das Je­sus er­zählt, je­mand ver­lo­ren ist, dann ist es Gott sel­ber. Denn we­der der jün­ge­re, noch der äl­te­re Sohn ha­ben auch nur an­nä­hernd be­grif­fen, welch‘ un­glaub­li­cher Lie­be sie im „barm­her­zi­gen Va­ter“ be­geg­net sind. Dan­ken wir nun froh für die­se Lie­be und Barm­her­zig­keit des Va­ters, auch wenn sie uns sel­ber oft so fremd er­scheint. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)