(Am 7, 12–15; Eph 1, 3–10; Mk 6, 7–13)
Liebe Schwestern und Brüder,
Amos gilt als der älteste Prophet im 1. Testament. Er hat im 8. Jahrhundert v.Ch. gelebt und gewirkt. In der 1. Lesung haben wir heute ein kurzes Stück aus dem Buch Amos gehört. Es bezeugt uns einen Konflikt zwischen einem amtlichen Priester und dem Laien Amos, zwischen Institution und Laientum, zwischen Macht und Charisma.
Wie wir gehört hatten, lehnte Amos es ab, Prophet oder Prophetenschüler zu sein. Er gehörte also nicht zu einer offiziellen Prophetengruppe. Er war weder theologisch ausgebildet, noch hatte er einen offiziellen Auftrag bzw. eine ordentliche Beauftragung der religiösen Behörde, genauso wie Jesus von Nazareth später auch nicht.
Amos nennt seinen Beruf, nämlich Viehhirte und das Veredeln von Maulbeerfeigen. Dann kommt das große „Aber“. Gott hat ihn einfach und ohne zu fragen „weggenommen“ aus seinem normalen Leben, also ziemlich ungefragt und unerwartet, und ihn mit einem Auftrag für Israel betraut. Dieser Auftrag war nicht lustig und wenig geeignet, sich Freunde zu machen. Er war auch keine frohe, fromme Botschaft oder der Aufruf der Rückkehr zu strengerer Religiosität. Wie fast bei allen Propheten schärfte er also nicht religiöse Gebote und das Festhalten an sog. „ewigen Wahrheiten“ ein. Nein, er musste in aller Schärfe eine Form von Glaube und Religiosität kritisieren, die zwar Wert auf den rechten Kult, auf Buße, Frömmigkeit, Fasten und Beten legte, die aber kein Problem mit gravierenden und himmelschreienden, sozialen Schieflagen, Ungerechtigkeiten und Liebelosigkeiten hatte. In der Regel betraf das vor allem die religiöse und gesellschaftliche Elite. Kein Wunder eigentlich, dass viele Propheten ihr Leben gewaltsam verloren und kaum einer Lust hatte, in diesem Sinne Gottes Prophet zu sein.
Es ist typisch für Gott, dass er bevorzugt Laien beruft und jene, die keiner auf dem Schirm hat, also jene, die möglicherweise noch nicht ganz betriebsblind geworden sind. Und es ist typisch für Gott, dass er zunächst als Einziger seine Stimme erhebt, um daran zu erinnern, dass das Fundament religiösen Lebens in seinen Augen Barmherzigkeit und Liebe sind und dass dies bitteschön nicht folgenlos für das praktische, alltägliche Leben bleiben darf, weder religiös und gesellschaftlich, noch politisch.
Und eigentlich ruft auch in einem jeden von uns ein Prophet, zumal, wenn wir getauft sind, zu, dass Barmherzigkeit und Liebe auch uns selber gelten. Vielen von uns verlangt das Leben viel ab, manchmal gar bis an die Grenzen des Möglichen. Darüber vergessen wir oft, dass wir auch eine Pflicht zur Selbstfürsorge haben. Wir müssen uns selbst mehr Liebe und Barmherzigkeit schenken, mehr Freiheit von Erwartungen von außen für die Bedürfnisse unserer eigenen Seele und unseres Leibes.
Das könnte doch vielleicht auch im Urlaub ein Versuch wert sein, wenn er nicht nur eine Verlängerung des Alltags sein soll. Mögen wir auf diese prophetische Stimme in uns hören und auch den Mut haben, im Geist des Propheten Amos unsere Stimme zu erheben, wo Menschlichkeit, Barmherzigkeit und Liebe auf der Strecke bleiben. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)