(Spr 9, 1–6; Eph 5, 15–20; Joh 6, 51–58)
Liebe Schwestern und Brüder,
bei aller Liebe, aber langsam nervt es, dass wir gerade Sonntag für Sonntag nur Stücke aus der sog. „Brotrede“ Jesu aus dem Johannesevangelium hören. Dabei sollte es klar sein, dass Jesus vermutlich so lange und theologisch komplexe Reden kaum gehalten haben wird. Zudem stellt sich auch die Frage, wer diese Reden denn gleich so mitgeschrieben haben könnte. Die Bibelwissenschaftler sagen, dass diese quasi theologischen Meditationen aus der Feder jenes Redaktionsteams entstanden sind, die sich auf den Johannes beriefen. Sie sagen auch, dass das Johannesevangelium geradezu eine gänzlich andere Art von Evangelium ist als die anderen drei Markus, Matthäus und Lukas. Es ist auch das jüngste der vier Evangelien des Neuen Testamentes und erst am Ausgang des 1. Jahrhunderts fertig gestellt worden.
Zudem hat das Johannesevangelium seine eigenen, theologischen Begrifflichkeiten, die man verstehen muss, um sie nicht misszuverstehen.
Dazu gehören heute die Begriffe „Fleisch“ und „Blut“, die manchmal geradezu als Kampfbegriffe des „wahren“, katholischen Glaubens missbraucht werden. Da geht es dann um eine Auffassung, die von uns verlangt, „Fleisch“ und „Blut“ ganz wörtlich zu nehmen. Natürlich wollen wir das ganz wörtlich nehmen, aber bitte in Sinne des Evangelisten Johannes und nicht im Sinne frommer Träumereien.
Für Johannes nämlich stehen die Begriffe „Fleisch“ und „Blut“ für jene Vorstellung, die wir meinen, wenn wir sagen, dass da ein Mensch aus Fleisch und Blut ist. Der Vergleichspunkt ist nicht „Fleisch“ und „Blut“, sondern das Menschsein und die Menschlichkeit. Johannes will also sagen, wer das Menschsein, die Menschlichkeit Jesu, nicht gänzlich verinnerlicht, wer seinen Geist der Liebe und Barmherzigkeit nicht in sich selbst zu Fleisch und Blut werden lässt, der kann das Leben nicht in sich haben. Seine Menschlichkeit ist tatsächlich wie Brot für Seele und Leib, das Herzblut seiner unfassbaren Liebe ein Trank für Seele und Leib.
Die Hostie hat rein äußerlich mit normalem Brot nicht viel zu tun. Aber wir glauben, dass in ihr, in ihrer ganzen Schlichtheit, das Geheimnis seiner liebevollen Gegenwart verborgen ist, so wie in einem schlichten Gegenstand oder Symbol die ganze Liebe eines Menschen gegenwärtig sein kann. Um diese tiefe, verinnerlichte Liebesbegegnung geht es, darum auch für uns, dass unsere Liebe sich an seiner entzündet und nicht nur fünf Buchstaben bleibt, sondern uns gleichsam in Fleisch und Blut übergeht, sichtbar, spürbar, erfahrbar für andere Menschen und Geschöpfe. Das alles sollten mitbedenken bei „Fleisch“ und „Blut“. Man könnte auch mit dem 1. Johannesbrief, Kapitel 4, Vers 16, sagen: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm!“ Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)