(Dtn 6, 2–6; Eph 3, 14–18; Mk 12, 28b-34)
Liebe Schwestern und Brüder,
die heutigen biblischen Texte sind für mich sozusagen ein Heimspiel. Mancher wird vielleicht sagen, da brauche ich nicht mehr zuzuhören, das kenne ich schon. Aber wichtige Dinge muss man einfach immer wieder sagen, so wie man als Kind manche Geschichten immer und immer wieder hören konnte.
Man könnte ja meinen, dass das wichtigste Gebot Jesu längst verinnerlicht ist. Nur leider sieht die Praxis alles andere als danach aus. Ich weiß gar nicht, ob uns überhaupt klar ist, was Religion bedeutet, wenn die Liebe das oberste Prinzip sein soll?! Man kann auch nicht leugnen, dass Religionen mit der Angst vor Gott und Höllenstrafen für ein verfehltes Leben ganze Arbeit über die Jahrhunderte geleistet haben.
Moralisten behaupten ja gerne, dass ohne das Druckmittel „Gott“ der moralische Ausverkauf über uns hereinbricht. Da weiß ich aber gar nicht, wo in der Geschichte der all so christlichen Nationen die ganze Unmoral hergekommen ist. Es scheint jedenfalls viel leichter zu sein, im Namen Gottes tolle moralische und religiöse Leistungen zu vollbringen, als sich dem sicher mühsamen Weg der Liebe zuzumuten. Religionen fixieren manchmal Menschen gerne auf das, was sie tun müssen, um richtig zu sein und bei Gott Gnade zu finden. Leider nimmt sich da vor allem der Mensch selber wichtig und eben nicht das Geheimnis, das wir „Gott“ und „Liebe“ nennen.
Viele religiöse Systeme arbeiten mit dem Gegensatzpaar „wenn-dann“, selbst oft die Bibel. Wenn du das und das tust, dann wird es dir gut gehen etc.. Geht es nicht gut, dann sind wir freilich immer selber schuld. Dieses Denken stiehlt bis heute den Menschen die Liebe zu Gott und nimmt ihn in der Angst vor ihm gefangen. Mit Liebe hat das „wenn-dann“ wenig zu tun. Die Religionen haben die Menschen oft nicht die Liebe zu Gott, sondern die Angst vor ihm gelehrt. Sie haben Menschen zu religiösen und moralischen Leistungssportlern gemacht, anstatt sie das bedingungslose Vertrauen in Gottes absolute Liebe zu lehren und vorzuleben. Man kann gerne über „gottlose“ Zeiten schimpfen, ohne sich klar zu machen, dass wir sie selber mit verursacht haben.
Aber schon das Leben Jesu lehrt uns, dass eher „Zöllner und Sünder“ Gottes Liebe verstanden und angenommen haben, als alle Religionsprofi.
Im übrigen hat Jesus das Liebesgebot nicht erfunden, sondern dies war die Grundbotschaft Gottes aller Propheten im 1. Testament.
Kurz und gut: mögen wir doch Gott lieben, indem wir ihm nicht „Gottloses“ unterstellen. Setzen wir ihm doch keine furchterregende Halloweenmaske auf, die uns nur das Fürchten lehrt. Und akzeptieren wir, dass uns Gottes Nähe da aufleuchtet, wo uns Liebe widerfährt und wir selbst mit Gottes Hilfe zu lieben versuchen. Wenn das Religionen mehr wirklich lehren und leben würden, hätten wir schon auf Erden ein ganzes Stück Himmel. Und danach sehnt sich Gott selbst am allermeisten. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)