(Jes 9, 1–6; Tit 3, 4–7; Lk 2, 1–14)
Liebe Schwestern und Brüder,
manchmal denke ich im Vorfeld der Vorbereitungen zu Weihnachten, was es denn jedes Jahr Neues zu Weihnachten zu sagen geben soll?! Vermutlich muss man gar nicht immer auf Neues aus sein. Und natürlich hat jeder Prediger seine Lieblings- und Grundthemen, wie ich auch.
Aber es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie sich ein Gedanke bei allem Nachdenken besonders bemerkbar macht und im Herzen festsetzt. Diesmal kam er aus dem Krippenspiel von Heiligabend, in dem die Hirten bei ihren bescheidenen Gaben für das Kind schlussendlich feststellten, dass sie den Heiland, ja, die Welt gerettet hätten. Und der Erzähler hält fest: „Am Ende hatten sie gar Gott gerettet, der als kleines Kind zur Welt gekommen war!“
Dieser Satz also ist dieses Jahr in meinem Herzen hängengeblieben. Auch deswegen, weil ich gerade die Tagebücher der niederländischen, jüdischen Schriftstellerin Etty Hillesum lese, die mit 29 Jahren in Auschwitz 1943 ermordet wurde. Sie erobert gerade die Herzen vieler Menschen, denen vor allem Anne Frank ein Begriff war und ist. Etty Hillesum schreibt nämlich ähnlich wie die Hirten im Krippenspiel, dass Gott uns nicht helfen kann, sondern dass wir ihm helfen müssen, ein Stück von ihm in uns selbst zu retten, ja, dass wir vielleicht mithelfen können, Gott in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen (Tagebucheintrag 12. Juli 1942, S. 224–226).
Es geht nicht darum, auch Weihnachten nicht, eine Konfession oder Religion zu retten, sondern das Geheimnis „Gott“ selber. Während uns immer wieder gesagt wird, dass wir Gott brauchen, wird uns heute an Weihnachten gesagt, dass Gott uns braucht. Das passt freilich überhaupt nicht in unser theologisches und philosophisches Denken von und über Gott, aber das interessiert Gott irgendwie nicht.
Wenn sich niemand um dieses Baby von Betlehem gekümmert hätte, wäre es gestorben. Wenn niemand diesem Kind alle bedingungslose Liebe geschenkt hätte, wäre es vielleicht auch gestorben. Die Hirten in dem Krippenspiel hatten Recht. Sie haben mit ihren Gaben tatsächlich das Kind gerettet: mit einem Hirtenfell gegen die Kälte, mit einer Lampe, die Licht gebracht hat, mit einem letzten Stück Brot gegen den Hunger, mit einer Flasche Wasser gegen den Durst des Leibes und der Seele.
Etty Hillesum hat mit ihrer Menschlichkeit und einem Herzen voller Liebe mitten in der Dunkelheit des Durchgangslagers Westerbork Gott für viele gerettet, indem sie dadurch Menschen Hoffnung gab und Licht. Am Ende konnte sie weder die Menschen, noch sich selber vor den Gaskammern retten, aber in ihrem Herzen war eine Krippe, von der Licht und Wärme ausging, für sie selbst und für andere Menschen. Das war für sie selbst ein Geschenk, das sie Tag für Tag, Abend für Abend, mit tiefer Dankbarkeit erfüllte. Sie hielt sich nicht bei den vielen Fragen und Warums auf, auf die wir eh keine Antwort zu finden vermögen und die manche damit beantworten, Gott sterben zu lassen. Aber damit ist nichts gebessert und verändert.
Den Heiland und Gott zu retten, bedeutet, gegen alle Dunkelheit, Gewalt und die Liebelosigkeiten trotzdem Lichter der Menschlichkeit, der Liebe, der Zärtlichkeit, der Empathie… zu entzünden. Das hat erst einmal nix mit Religion zu tun. Aber für Menschen, die zu glauben versuchen bzw. denen das Licht des Glaubens geschenkt wurde, bedeuten diese Lichter alle, dass Gott gerettet wird und dieses Geheimnis in den Herzen vieler Menschen und Geschöpfe die Herberge einer Krippe gefunden hat. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)