(Apg 5, 12–16; Offb 1, 9–11a.12–13.17–19; Joh 20, 19–31)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich im neuen Sonntagsschott von 2018 zur Einführung für diesen Sonntag lese, dass „der gefährlichste Feind des Glaubens und der Liebe der Zweifel ist“, dann könnte mich gleich heiliger Zorn ergreifen. Was für ein Unsinn! Den Zweifel kann man nur zum gefährlichsten Feind des Glaubens machen, wenn man Glaube mit ewigen Wahrheiten verwechselt und so tut, als hätte das vor allem mit intellektuellen Einsichten zu tun, denen man nur zuzustimmen bräuchte. Und wenn das nicht richtig klappt, sollte man einfach nur auf das Hören, was die Kirche lehrt. Darum ist ja der Gehorsam manchmal die wichtigste Tugend, die vor allem erwünscht ist.
Eine solche Art von Glauben ist doch längst überholt, auch wenn sie die Dinge des Glaubens einfacher zu machen scheint. Genau dafür steht eben der hl. Thomas überhaupt nicht. Schon an ihm kann man lernen, dass der Glaube nicht einfach vom Hören kommt. Ich glaube auch nicht, weil vor 2000 Jahren Leute behauptet haben, dass Jesus auferweckt wurde und lebt. Das ist nicht der Grund meines Glaubens.
Selbst damals hatten doch die Jüngerinnen und Jünger nicht geglaubt, weil sie von Auferweckung gehört hatten, im Gegenteil. Jeder fand zum Glauben, weil er ihnen geschenkt wurde, weil sie zutiefst berührt wurden, weil es vor allem eine Erfahrung war, die radikal ihr Leben verändert hat. Nicht Thomas und nicht wir berühren zuerst, sondern der Auferweckte berührt uns!
Die Jüngerinnen und Jünger, denen also der Glaube vor Thomas geschenkt wurde, weil er gerade was anderes zu tun hatte, unterscheidet sich in nichts von dem, wie ihn der hl. Thomas geschenkt wurde. Darum war es ihnen auch nicht erlaubt, sich über die Fragen und Wünsche des hl. Thomas zu erheben. Das ist im übrigen nie jemandem erlaubt, der meint, zum Glauben gefunden zu haben.
Auch der hl. Thomas zeigt einmal mehr, dass das Hören allein nicht zum Glauben führt. Es kann mich in Bewegung setzen, einen Prozess auslösen, an dessen Ende vielleicht eine neue Erfahrung und Entscheidung steht. Auch unser Glaube hat Prozesscharakter, muss sich weiterentwickeln, und da gehört der Zweifel durchaus als Zwillingsbruder des Glaubens dazu. Er stachelt uns an, dem tragfähigen Glauben auf den Grund zu gehen.
Es kann nicht sein, dass ich als ausgewachsener Mensch immer noch bete würde: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“, mal abgesehen davon, dass nicht Frömmigkeit, sondern Liebe zum Himmel führt.
Thomas lehrt uns, dass Glaube zutiefst eine Erfahrung von Beziehung ist, etwas zutiefst Persönliches, das uns vor allem erst einmal widerfährt. Den ersten Schritt hat doch bei den Jüngerinnen und Jüngern damals immer Jesus gemacht. Es heißt, dass er ihnen „erschien“, was immer das bedeutet. In jedem Fall ist es eine Erfahrung von Begegnung, die das Leben verändern kann.
Da können Herz und Verstand aus unterschiedlichsten Gründen verschlossen sein, wie die Türen bei den Jüngerinnen und Jüngern im heutigen Evangelium, wie vielleicht auch bei Thomas. Jesus kümmert das nicht. Ihn hält keine Verschlossenheit auf. Er kommt überall durch und hält nicht zuerst eine erwartete Standpauke, sondern wünscht Frieden ins verängstigte und sehnsüchtige Herz.
Jesus schenkt Thomas den Glauben mit den Worten: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig“. Das muss er zu einem jeden von uns sagen, bestimmt öfter im Leben. Dieser geschenkte Glaube schenkt dann Leben in seinem Namen.
Auch wenn unsere Antwort nicht gleich lautet: „Mein Herr und mein Gott!“, so sei sie doch freudiger Dank und die Bitte, auch dann noch vertrauen zu dürfen, wenn die Augen des Herzens und des Verstandes gerade mal nichts sehen. Das wünsche ich uns im Namen des hl. Thomas von Herzen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)