(Jes 66, 10–14a; Offb 7, 9.14b-17; Joh 10, 27–30)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn schon der Muttertag auf den Gute-Hirte-Sonntag fällt, dann sei daran erinnert, dass Gott eben auch „Mutter“ und „Gute Hirtin“ genannt werden darf. In der Wüste Sinai habe ich vor allem Frauen und Mädchen als Hirtinnen erlebt. Und in der 1. Lesung aus dem Buch Jesaja haben wir ja auch gehört, dass Gott wie eine Mutter ist, die ihr Kind, in diesem Fall den Sohn, tröstet. Manchmal scheint es ja so, als könnte man das Geheimnis Gott nur mit männlichen Vokabeln beschreiben. Und manche geistliche Männer glauben gar, nur Männer könnten das Geheimnis „Gott“ in rechter Weise darstellen. Dabei heißt es ja schon im Schöpfungsbericht des 1. Testamentes, dass Mann und Frau Ebenbild Gottes sind (Gen 1, 27) und eigentlich nur beide in rechter Weise auf das Geheimnis Gottes verweisen können.
Insofern ist in einer männerzentrierten Kirche das Geheimnis „Gott“ immer nur halb dargestellt. Da hilft es auch nicht, Maria in den Himmel zu erheben und den irdischen Schwestern praktisch nicht dieselben Rechte zu gewähren, wie den Männern selber.
Nun muss man natürlich auch ehrlicherweise hinzufügen, dass auch Mann und Frau nur Bilder für jene göttliche Wirklichkeit sind, die alle Begrifflichkeiten übersteigt. Letztlich könnte man sagen, dass in den Begriffen „Mann“ und „Frau“ als Ebenbild Gottes nur gesagt sein möchte, dass dieses Geheimnis liebevolle Beziehung ist. Und überall da, wo dieses uns begegnet, da leuchtet das Geheimnis Gottes auf, das im 1. Johannesbrief einfach mit „Liebe“ gleichgesetzt wird (1 Joh 4, 8). Ich werde also nicht müde werden, immer wieder auch festzuhalten, dass Gott Mutter ist oder Schwester, Freundin, Hirtin oder Heilige Geistin. Alle andere vorschnelle Einengung verletzt das Geheimnis Gottes und das Gebot, sich nur ein einseitiges Bild von Gott zu machen. Aber Einengung gibt es bis heute, wenn man sieht, wie wenig z.B. der Dienst als Mutter auch strukturell gewürdigt wird.
Manche alleinerziehende Mütter z.B. arbeiten eben nicht nur ein paar Stunden im Büro, sondern in der Regel von 5.00 Uhr bis manchmal 23.00 Uhr. Denn Haushalt und Familie, in welcher Form auch immer, zusammenzuhalten, ist ein Kraftakt, der oft nicht genug gewürdigt und wertgeschätzt wird und mancher Mutter wirklich alles abverlangt. Es wäre also gut, nicht nur heute „Danke“ zu sagen, sondern auch mal zwischendurch, und zwar nicht nur wort- und blumenreich, sondern tatenreich.
Es ist, wie gesagt, gut, dass wir am Muttertag auch den Gute-Hirtinnen-Sonntag feiern, denn dann können auch die, die nicht Mütter sind, sich in der „Guten Hirtin“ wiederfinden.
Denn wenn wir gerade auch heute etwas dringend brauchen, dann dass wir einander gute Hirtinnen und Hirten sind, Menschen also, die nicht nur einen Blick für sich selber, sondern auch für andere haben.
Niemand soll sagen, das müssen „die da oben“ regeln. Nein, jeder von uns kann als Mann und Frau, als Kind oder Greis, als Freund oder Freundin, als Bruder oder Schwester, als Mutter oder Vater oder als was auch immer, die Welt vor der eigenen Haustür zum Besseren verändern und so zum Sakrament jenes Geheimnisses werden, dass sich in keine Begrifflichkeiten einsperren lässt und am Ehesten in der Liebe zu erfahren und zu erahnen ist. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)