(Jes 50, 4–7; Phil 2, 6–11; Mt 21, 1–11)
Einführung
Mit dem Palmsonntag beginnt die sog. „Heilige Woche“. Im Mittelpunkt steht der Einzug Jesu in Jerusalem. Die Passion, die eigentlich zu Karfreitag gehört, rückt das zu sehr in den Hintergrund. Es ist zu überlegen, ob man die Passion am Palmsonntag ganz weglässt und sich stattdessen auf den Einzug Jesu beschränkt.
Zwei Symbole sollen den Tag prägen. Das ist einmal das geschmückte Kreuz als Zeichen der Hoffnung, dass im Tod Jesu neues Leben aufbricht. Und das ist zum anderen die Eselin aus dem Evangelium, die in wunder – und liebevoller Weise die Haltung Jesu zum Ausdruck bringt. Da könnte man den Esel von unseren Krippen hervorholen und zum geschmückten Kreuz stellen. Und dann lesen Sie nochmal das Evangelium vom Einzug und schauen das Kreuz und den Esel einfach dankbar an.
Zur Predigt
Als Jesus in Jerusalem einzog, „erbebte die ganze Stadt“, so heißt es bei Mt 21,10. Bei „Beben“ denken wir an Erdbeben. Da fängt plötzlich der scheinbar feste Boden an zu wackeln, Menschen verlieren ihren Halt, scheinbar feste „Häuser aus Stein“ fallen in sich zusammen. Das Coronavirus ist auch wie ein Beben, das die ganze Welt erfasst hat. In diese sorgenvolle Zeit hinein feiern wir also Palmsonntag, ohne uns real zu versammeln, ohne gemeinsame Prozession. Auch das ist wie ein Beben, dass vermutlich viele sehr erschüttert. Digital kann das nicht annähernd aufgefangen werden.
Trotzdem: auch wenn wir uns nicht treffen können, trifft ER ein! Ohnehin will er immer da einziehen, wo das Jerusalem unseres Alltags ist. Nicht in eine erträumte, heile Welt, sondern in die, wie sie für uns gerade ist. Hoch zu Ross erscheint er nie. Auf Statussymbole legt er keinen Wert. Er kommt auf einer Eselin (nach Matthäus) und erfüllt damit eine Prophetie des Sacharja. Denn er kommt nicht mit angsteinflößenden Machtsymbolen, sondern mit dem Sakrament der Eselin, weil sie am besten seine Sanftmut zum Ausdruck bringen kann.
Die Menschen rufen „Hosianna“, was so viel bedeutet wie: „Bring doch Hilfe!“ Und das werden heute viele weltweit rufen. Aber worin besteht seine Hilfe? Er zaubert nicht einfach alles Elend, alle Coronaviren, hinweg, aber er ist da in aller Sanftmütigkeit und Liebe, die uns, trotz allem, begegnet und unser Herz erfüllt.
Immer wieder muss ich in dieser sog. „Heiligen Woche“ daran denken, wie Jesus im Johannesevangelium sagt: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen!“ (Joh 14,9) Es ist schon erschütternd genug, wie Menschen oft miteinander umgehen. Aber in Jesus sieht man auch, wie Menschen mit Gott umgehen. Wenn es im 1. Johannesbrief 4,8 heißt: „Gott ist die Liebe“, dann ist die Heilige Woche auch das Schicksal der Liebe, die aber Ostern für immer und ewig über allem steht und bleibt.
Viele religiöse Menschen und religiöse „Würdenträger“ bedenken oft nicht, dass ihr konkretes Verhalten, dass die Rösser der Macht, des absoluten Wahrheitsanspruches, der Rechthaberei und Selbstvergötterung, auf denen sie sitzen, Ausdruck ihres (schrecklichen) Gottesbildes sind. Wer auf einem Esel reitet, verzichtet darauf und ist natürlich immer in der Gefahr, selbst ein Esel genannt zu werden, weil, „real“ und „vernünftig“ gedacht, die Liebe nichts bringt, schon gar keinen Profit oder Würden, die bewundert und beweihräuchert werden könnten.
Mein Firmpatenkind schrieb in einem ähnlichen Zusammenhang einmal davon, dass wir doch alle Würdenträger sind. Wie recht sie hat! Das Gottesbild nämlich, dass Jesus gelebt hat, schenkte vielen eine Würde, die immer wieder von selbsternannten Würdenträgern den vielen abgesprochen wurde, weil sie durch ihr Leben und Schicksal ihre religiöse Systemrelevanz angeblich verloren hatten. Jesus schenkte eine Würde, die jedem, unabhängig von seinen Leistungs- und Selbstrechtfertigungsorden, durch Gottes unbedingte und unverdienbare Liebe zukommt. Machtmissbrauch, angstverbreitende Herrschaften und Eminenzen, kann es in der Nachfolge Jesu nicht geben. Ich weiß nicht, warum wir den Liebesschrei Gottes nicht hören und verstehen? Ich weiß nicht, warum der Gott der Liebe scheinbar den Notschrei so vieler Menschen und Geschöpfe nicht hört? Ich „weiß“ nur, dass mich auch die Eselin heute daran erinnert, das Trotzdemvertrauen zu wagen, dass nämlich alles, wirklich alles, in Seiner großen, unbegreiflichen Liebe eingeschlossen ist und bleibt, einer Liebe, die bereit war, die Kosten aller Lieblosigkeiten, Nöte und Ängste zu tragen. Dafür bin ich jetzt einfach nur unendlich dankbar, wenn ich das geschmückte Kreuz und den Esel so anschaue. Amen.
Euer / Ihr
P. Thomas Röhr OCD