(Jes 50, 4–7; Phil 2, 6–11; Lk 19, 28–40)
Liebe Schwestern und Brüder,
Jahr für Jahr ist die Kollekte am Palmsonntag für die Menschen im Heiligen Land, so auch heute. Das Thema dieses Jahr lautet: „Aufeinander zugehen“. Angesichts der äußerst komplizierten Konfliktlage im Heiligen Land ist das ein großes Motto. Als Außenstehender und in sicherer Entfernung ist es schwierig, sich eine gerechte Meinung zu bilden. Der 7. Oktober hat wie der Krieg im Gaza-Streifen den israelisch-palästinensischen Friedensaktivismus zutiefst erschüttert. Unter den Opfern des 7. Oktober waren auch ausgerechnet jene, die sich für Frieden und Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinenser eingesetzt und engagiert haben.
Angesichts des unermesslichen Leides und der Schmerzen fragt man sich, wie Versöhnung, wie aufeinander zugehen, funktionieren soll? Das Aufeinander zugehen scheint ja in vielen Ländern der Welt gerade nicht besonders leicht zu sein.
Aber es gibt sie, die Menschen, die Initiativen, die das, auch im Heiligen Land, in bewundernswerter Weise versuchen, trotz allem. Sie verdienen unseren höchsten Respekt und unsere ganze Unterstützung, in jeder Hinsicht. Seite an Seite kämpfen dafür Israelis wie Palästinenser, nicht mit Waffen, die töten, nicht mit Hass und Gewalt, sondern mit dem ehrlichen und respektvollen Versuch, aufeinander zuzugehen, achtsam aufeinander zu hören, aufzubrechen jene ungelösten Traumata und festgefahrenen Opfergeschichten, die uns oft daran hindern, einander wirklich zu sehen und zu hören. Es ist so wichtig, angesichts von extrem einseitigen Berichten von Konfliktgeschichten, auch auf das Bemühen vieler Menschen hinzuweisen, die Wege aus Hass und Gewalt suchen.
Mit einem Esel kann man keinen Staat machen. Der Esel ist für Jesus das Sakrament verbaler und praktischer Abrüstung, ein Zeichen der Entängstigung, eine Einladung, zu vertrauen und menschlich zu sein. Natürlich macht man sich dadurch für jene, die auf Hass und Gewalt setzen, zum Esel. Aber für viele nimmt man mit dem Esel den Wind des Hasses und der Vorurteile aus den Segeln.
In der 1. Lesung aus dem Buch Jesaja haben wir ja gehört, wie Gott selber Menschen befähigt, offene Ohren und Herzen zu haben. Er schafft die Wunder, wo Menschen wieder aufeinander zugehen, sich einander vergeben, sich zuhören, wirklich mit Herz und Verstand, ganz anwesend.
Jesus zeigt uns heute, wie wir miteinander umgehen, wie wir aufeinander zugehen sollen. Eine christlich palästinensische Familie hat im Westjordanland an ihr Grundstück geschrieben: „Wir weigern uns Feinde zu sein!“ Mit dem Esel sagt uns Jesus heute auch: weigert euch, einander Feinde zu sein! Vor allem weigert euch, wo man versucht, Gott zum Feind zu machen und in seinem Namen, Hass und Gewalt zu rechtfertigen und zu predigen.
Denn Gott will uns Freund sein, Vater und Mutter, Schwester und Bruder, um allen nahe zu sein, vor allem jenen, die es immer wieder wagen, aufeinander zuzugehen. Darum lasst uns bemüht sein, hier, im Heiligen Land, in unserer Kirche oder wo auch immer, einfach überall. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)