(Jes 22, 19–23; Röm 11, 33–36; Mt 16, 13–20)
Liebe Schwestern und Brüder,
„Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege“, so schreibt der hl. Paulus an die Gemeinde in Rom und Birkenwerder (Röm 11, 33). Aber stimmt das? Ist es nicht vielmehr so, dass wir immer wieder an die Grenzen unseres Verstehens und unserer Erkenntnis stoßen? Was weiß ich denn von Gottes Entscheidungen und Wegen? Und wie viel Unheil ging und geht oft von Menschen aus, die so genau wissen, was Gott will und was er nicht will.
Wir leben zwar heute in einem digitalen Zeitalter, wo uns jeder Zeit unendlich viele Informationen zur Verfügung stehen. Aber schlauer werden und sind wir deswegen nicht. Eher erschlägt uns die Flut an Informationen. Und schaut man, was Naturwissenschaften, Astronomie, Psychologie, Genetik, Gehirnforschung etc. alles ins Bewusstsein heben, dann geht uns eher auf, wie vieles wir schlicht und ergreifend nicht wissen und verstehen. Da wird unser wirkliches Wissen vergleichsweise klein.
Viele beziehen aus vermeintlichem Wissen Sicherheit, setzen auf beliebte und weit verbreitete Schwarz-Weiß-Malerei. Aber der Realität entspricht es nicht. Auch im Bezug auf das Wissen beschleicht uns das Gefühl des Kontrollverlustes und damit verbunden eine gewisse und latente Lebensangst, der wir uns stellen müssen.
Die Bibel hat eine klare Antwort auf dieses Problem und setzt auf unbedingtes Vertrauen, auch Glauben genannt. Machtmissbrauch in geistlichen Ämtern ist meistens ein Zeichen von Angst, der eigentlichen Gegenspielerin des Vertrauens und nicht der intellektuelle Zweifel. Wir sollten also nicht zuerst über Gottes Wege nachsinnen, sondern über unsere eigenen und warum wir ausgerechnet diesen Weg gewählt haben. Auch uns stellt sich immer wieder neu die Frage, wer oder was eigentlich das Geheimnis Gottes für uns ist, wo und wie es uns in der mühsamen Alltäglichkeit des Lebens berührt, was Jesus uns bedeutet und ob er eine Schlüsselfigur unseres Glaubens und Lebens ist. Nicht Petrus ist der Fels, nicht die Kirche, nicht unser Glaubenswissen, nicht unsere Frömmigkeit. „Fels“ kann nur unser Vertrauen in Gottes liebevolles und zärtliches Geheimnis sein, das uns in Jesus zum Schlüssel des Glaubens geworden ist.
Und damit weder Petrus, noch wir, allzu stolz auf unser tolles Glaubensbekenntnis sind, schiebt Jesus im Evangelium gleich hinterher: „Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, also nicht dein eigenes Denken und Bemühen, sondern mein Vater im Himmel!“ (Mt 16, 17)
Fällt es leicht, so sehr aus Gnade zu leben, so radikal beschenkt zu sein? Vermutlich nicht, wo wir uns mehr auf uns, als auf Gott verlassen möchten. Wenn wir uns aber von Gott das Vertrauen in unsere leeren, aber offenen, Hände und Herzen legen lassen, dann wird uns das zum Schlüsselerlebnis eines Vertrauens, das uns wahrhaft „Fels“ in der Unbeständigkeit allen irdischen Lebens sein kann. Dieses Schlüsselerlebnis wünsche ich uns allen, immer wieder neu und schmerzlich heilsam. Amen.
P. Thomas Röhr OCT