10. Sonn­tag im Jah­res­kreis (06.06.2021)

(Gen 3; 2 Kor 4, 13 – 5,1, Mk 3, 20–35)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
wie schon oft er­wähnt, ha­ben die 1. Le­sung und das Evan­ge­li­um ge­mein­sa­me Be­zugs­punk­te. Ich fra­ge mich heu­te al­ler­dings, wel­che das sein sol­len? Zu­dem ist die 1. Le­sung wie­der so ver­kürzt, dass von der Schön­heit und Tie­fe die­ser Ge­schich­te nicht viel üb­rig­bleibt. Es lohnt sich, das gan­ze Ka­pi­tel 3 des Bu­ches Ge­ne­sis zu le­sen, und zwar nicht als Pro­to­koll, son­dern als das, was die­se Ge­schich­te sein möch­te: ei­ne theo­lo­gi­sche Deu­tung des­sen, was Rea­li­tät ist. Sie ist al­so kei­ne Er­in­ne­rung, son­dern ei­ne Be­schrei­bung der Ge­gen­wart. Sie schil­dert nicht zu­erst ei­ne Sün­de des Un­ge­hor­sams, schon gar nicht, wer zu­erst ge­sün­digt hat. Nein, die­se Ge­schich­te be­haup­tet, dass die Ur­sün­de des Men­schen Angst und Miss­trau­en Gott ge­gen­über ist. Von An­fang an konn­te der Mensch nicht glau­ben, dass Gott wohl­wol­len­de und wis­sen­de Lie­be ist, un­ter des­sen Blick die nack­te Exis­tenz er­träg­lich und an­nehm­bar wird. Von An­fang an ist der Mensch kaum in der La­ge, zu sei­nen Gren­zen und Feh­lern zu ste­hen. Statt­des­sen pro­ji­ziert er sein Un­ver­mö­gen auf Gott oder an­de­re und ar­bei­tet sich an ih­nen ab. Da­durch ge­rät er aber im­mer tie­fer in Zer­ris­sen­heit und zer­bro­che­ne Be­zie­hun­gen. Nur da, wo der Mensch den ehr­li­chen Mut be­sitzt, vor sei­ner ei­ge­nen Ver­ant­wort­lich­keit nicht mehr da­von zu lau­fen, kehrt ein Stück­chen Pa­ra­dies in Form von in­ne­ren Frie­den zu ihm zu­rück. Al­lein vor und mit Gott, vor dem er wirk­lich oh­ne Angst und Be­schä­mung nackt und bloß ganz Mensch sein darf, kann er den Teu­fels­kreis von Ver­drän­gung und Schuld­ver­schie­bung durch­bre­chen.
Ist es nicht ver­rückt, dass man dem, der uns Men­schen zur ehr­li­chen Lie­be er­mu­tigt, der uns in das Licht der zar­ten und be­hut­sa­men Lie­be Got­tes stel­len will, dass man die­sem Men­schen un­ter­stellt, mit dem Teu­fel im Bun­de zu sein? Da will man of­fen­sicht­lich kei­ne heil­sa­me Re­li­gio­si­tät, son­dern ei­ne krank­ma­chen­de, ver­drän­gen­de und miss­brau­chen­de Re­li­gi­on. Es ist tra­gisch, dass selbst Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge eher den Teu­fel an die Wand ma­len, als sich über das Wir­ken des Hei­li­gen Geis­tes zu freu­en, der ganz neue We­ge geht und neue Fa­mi­li­en­ban­de knüpft.
Im heu­ti­gen Evan­ge­li­um trägt nicht die Bluts­fa­mi­lie, son­dern je­ne, die sich im glei­chen Geist ver­bun­den weiß. Mehr noch, es sind je­ne, de­ren un­sicht­ba­rer Geist sicht­bar, er­fahr­bar und spür­bar in ei­ner neu­en Ge­mein­schaft der Lie­be wird. Denn Je­sus ging es nicht um Glau­bens­be­kennt­nis­se, son­dern um Glau­bens­ta­ten, die dem Wil­len Got­tes sicht­bar ma­chen. Und was ist der Wil­le Got­tes? Das steht im­mer in dem Buch, das Je­sus von Na­za­reth heißt, der das Ge­gen­teil von Angst und Miss­trau­en heil­sam ge­lehrt und ge­lebt hat: näm­lich Ver­trau­en und heil­sa­me Lie­be, so gut es ei­nem Men­schen mög­lich und ge­ge­ben ist. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)