(Gen 3; 2 Kor 4, 13 – 5,1, Mk 3, 20–35)
Liebe Schwestern und Brüder,
wie schon oft erwähnt, haben die 1. Lesung und das Evangelium gemeinsame Bezugspunkte. Ich frage mich heute allerdings, welche das sein sollen? Zudem ist die 1. Lesung wieder so verkürzt, dass von der Schönheit und Tiefe dieser Geschichte nicht viel übrigbleibt. Es lohnt sich, das ganze Kapitel 3 des Buches Genesis zu lesen, und zwar nicht als Protokoll, sondern als das, was diese Geschichte sein möchte: eine theologische Deutung dessen, was Realität ist. Sie ist also keine Erinnerung, sondern eine Beschreibung der Gegenwart. Sie schildert nicht zuerst eine Sünde des Ungehorsams, schon gar nicht, wer zuerst gesündigt hat. Nein, diese Geschichte behauptet, dass die Ursünde des Menschen Angst und Misstrauen Gott gegenüber ist. Von Anfang an konnte der Mensch nicht glauben, dass Gott wohlwollende und wissende Liebe ist, unter dessen Blick die nackte Existenz erträglich und annehmbar wird. Von Anfang an ist der Mensch kaum in der Lage, zu seinen Grenzen und Fehlern zu stehen. Stattdessen projiziert er sein Unvermögen auf Gott oder andere und arbeitet sich an ihnen ab. Dadurch gerät er aber immer tiefer in Zerrissenheit und zerbrochene Beziehungen. Nur da, wo der Mensch den ehrlichen Mut besitzt, vor seiner eigenen Verantwortlichkeit nicht mehr davon zu laufen, kehrt ein Stückchen Paradies in Form von inneren Frieden zu ihm zurück. Allein vor und mit Gott, vor dem er wirklich ohne Angst und Beschämung nackt und bloß ganz Mensch sein darf, kann er den Teufelskreis von Verdrängung und Schuldverschiebung durchbrechen.
Ist es nicht verrückt, dass man dem, der uns Menschen zur ehrlichen Liebe ermutigt, der uns in das Licht der zarten und behutsamen Liebe Gottes stellen will, dass man diesem Menschen unterstellt, mit dem Teufel im Bunde zu sein? Da will man offensichtlich keine heilsame Religiosität, sondern eine krankmachende, verdrängende und missbrauchende Religion. Es ist tragisch, dass selbst Familienangehörige eher den Teufel an die Wand malen, als sich über das Wirken des Heiligen Geistes zu freuen, der ganz neue Wege geht und neue Familienbande knüpft.
Im heutigen Evangelium trägt nicht die Blutsfamilie, sondern jene, die sich im gleichen Geist verbunden weiß. Mehr noch, es sind jene, deren unsichtbarer Geist sichtbar, erfahrbar und spürbar in einer neuen Gemeinschaft der Liebe wird. Denn Jesus ging es nicht um Glaubensbekenntnisse, sondern um Glaubenstaten, die dem Willen Gottes sichtbar machen. Und was ist der Wille Gottes? Das steht immer in dem Buch, das Jesus von Nazareth heißt, der das Gegenteil von Angst und Misstrauen heilsam gelehrt und gelebt hat: nämlich Vertrauen und heilsame Liebe, so gut es einem Menschen möglich und gegeben ist. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)