(Gen 3, 9–15; 2 Kor 4, 13–5,1; Mk 3, 20.21.31–35)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Menschen versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen, ihrem Herzen zu folgen, dann führt das nicht selten zu Konflikten, erst recht, wenn dies nicht die Mehrheitsmeinung einer Gruppe ist. Diese fühlt sich bedroht und stößt schlimmstenfalls einen solchen Menschen aus der Gruppe aus. Darum gibt es ja so viele Menschen als Kopie und so wenige als Original.
Woher Jesus die Freiheit nahm, so von Gott und den Menschen zu reden und zu handeln, wie er es tat, ist ein Geheimnis. Vielleicht war es seine unglaublich tiefe Verbundenheit mit Gott.
Jesus hat laut Markusevangelium Konflikte mit seiner Mutter und seinen Angehörigen, die ihn für verrückt erklären. Das passt zwar gar nicht in das Bild, das wir gerne von Jesus und seiner Mutter haben und pflegen wollen, aber es ist einfach so. Sicher halten sie Jesus nicht nur deswegen für verrückt, weil er keine Zeit zum Essen findet (Mk 3,20), sondern weil er seinen Weg geht, auch wenn ihn das von seiner Familie entfremdet. Er ist sozusagen von ihr ver-rückt. Doch am meisten irritiert sie wohl, dass er, der keine theologische Ausbildung besaß, in einer Weise von Gott erzählte, wie es gängigen Denkmustern völlig widersprach. Aber nicht nur das. Er verband mit diesem Denken eine Praxis, die für viele, besonders für die Religionsprofi, anstößig war. Er kritisierte in Wort und Tat jeglichen religiösen und moralischen Leistungssport, der oft nur dazu verführte, sich für etwas Besseres zu halten und andere verachten zu können, die nicht der allgemeinen Norm entsprechen. Er stellte die schon im 1. Testament von den Propheten geforderte Liebe und Barmherzigkeit über alles, vor allem jene, die Gott selber von jeher praktizierte.
Jesus entlarvte Härte und jeglichen Rigorismus als Schutzwall gegen die eigene Angst und das Misstrauen gegen Gottes Liebe und forderte statt dessen Vertrauen in Gottes unbedingte Liebe und das Bemühen, selber in der Liebe zu wachsen und zu leben.
Kein Wunder, dass es von seiner Mutter und seinen Brüdern heißt, dass sie „draußen“ stehen blieben (Mk 3,31). Denn „drinnen“ waren jetzt jene, die sonst „draußen“ waren und die man „drinnen“ nicht haben wollte. „Familie“ sind plötzlich nicht mehr nur die Blutsverwandten, sondern die Geistverwandten, deren Gruppenzugehörigkeit nicht äußere Zeichen signalisieren, sondern Dankbarkeit und das Bemühen, wirklich aus der Liebe leben zu wollen. Diese Menschen sind Jesus und Gott nahe, sind seine Mutter, Schwestern und Brüder. Daran wird sich entscheiden, wer in Jesu und Gottes Augen eigentlich „draußen“ steht oder „innen“ ist.
Es ist also kein schlechtes Zeichen, eher als verrückt zu gelten, denn als nur angepasst. Möge jeder den Mut haben, miteinander jenes eigene Leben zu leben, zu dem uns Gott selber ermutigt und uns die bedingungslose Erlaubnis erteilt. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)