10. Sonn­tag im Jah­res­kreis B (09.06.2024)

(Gen 3, 9–15; 2 Kor 4, 13–5,1; Mk 3, 20.21.31–35)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
wenn Men­schen ver­su­chen, ih­ren ei­ge­nen Weg zu ge­hen, ih­rem Her­zen zu fol­gen, dann führt das nicht sel­ten zu Kon­flik­ten, erst recht, wenn dies nicht die Mehr­heits­mei­nung ei­ner Grup­pe ist. Die­se fühlt sich be­droht und stößt schlimms­ten­falls ei­nen sol­chen Men­schen aus der Grup­pe aus. Dar­um gibt es ja so vie­le Men­schen als Ko­pie und so we­ni­ge als Ori­gi­nal.
Wo­her Je­sus die Frei­heit nahm, so von Gott und den Men­schen zu re­den und zu han­deln, wie er es tat, ist ein Ge­heim­nis. Viel­leicht war es sei­ne un­glaub­lich tie­fe Ver­bun­den­heit mit Gott.
Je­sus hat laut Mar­kus­evan­ge­li­um Kon­flik­te mit sei­ner Mut­ter und sei­nen An­ge­hö­ri­gen, die ihn für ver­rückt er­klä­ren. Das passt zwar gar nicht in das Bild, das wir ger­ne von Je­sus und sei­ner Mut­ter ha­ben und pfle­gen wol­len, aber es ist ein­fach so. Si­cher hal­ten sie Je­sus nicht nur des­we­gen für ver­rückt, weil er kei­ne Zeit zum Es­sen fin­det (Mk 3,20), son­dern weil er sei­nen Weg geht, auch wenn ihn das von sei­ner Fa­mi­lie ent­frem­det. Er ist so­zu­sa­gen von ihr ver-rückt. Doch am meis­ten ir­ri­tiert sie wohl, dass er, der kei­ne theo­lo­gi­sche Aus­bil­dung be­saß, in ei­ner Wei­se von Gott er­zähl­te, wie es gän­gi­gen Denk­mus­tern völ­lig wi­der­sprach. Aber nicht nur das. Er ver­band mit die­sem Den­ken ei­ne Pra­xis, die für vie­le, be­son­ders für die Re­li­gi­ons­pro­fi, an­stö­ßig war. Er kri­ti­sier­te in Wort und Tat jeg­li­chen re­li­giö­sen und mo­ra­li­schen Leis­tungs­sport, der oft nur da­zu ver­führ­te, sich für et­was Bes­se­res zu hal­ten und an­de­re ver­ach­ten zu kön­nen, die nicht der all­ge­mei­nen Norm ent­spre­chen. Er stell­te die schon im 1. Tes­ta­ment von den Pro­phe­ten ge­for­der­te Lie­be und Barm­her­zig­keit über al­les, vor al­lem je­ne, die Gott sel­ber von je­her prak­ti­zier­te.
Je­sus ent­larv­te Här­te und jeg­li­chen Ri­go­ris­mus als Schutz­wall ge­gen die ei­ge­ne Angst und das Miss­trau­en ge­gen Got­tes Lie­be und for­der­te statt des­sen Ver­trau­en in Got­tes un­be­ding­te Lie­be und das Be­mü­hen, sel­ber in der Lie­be zu wach­sen und zu le­ben.
Kein Wun­der, dass es von sei­ner Mut­ter und sei­nen Brü­dern heißt, dass sie „drau­ßen“ ste­hen blie­ben (Mk 3,31). Denn „drin­nen“ wa­ren jetzt je­ne, die sonst „drau­ßen“ wa­ren  und die man „drin­nen“ nicht ha­ben woll­te. „Fa­mi­lie“ sind plötz­lich nicht mehr nur die Bluts­ver­wand­ten, son­dern die Geist­ver­wand­ten, de­ren Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit nicht äu­ße­re Zei­chen si­gna­li­sie­ren, son­dern Dank­bar­keit und das Be­mü­hen, wirk­lich aus der Lie­be le­ben zu wol­len. Die­se Men­schen sind Je­sus und Gott na­he, sind sei­ne Mut­ter, Schwes­tern und Brü­der. Dar­an wird sich ent­schei­den, wer in Je­su und Got­tes Au­gen ei­gent­lich „drau­ßen“ steht oder „in­nen“ ist.
Es ist al­so kein schlech­tes Zei­chen, eher als ver­rückt zu gel­ten, denn als nur an­ge­passt. Mö­ge je­der den Mut ha­ben, mit­ein­an­der je­nes ei­ge­ne Le­ben zu le­ben, zu dem uns Gott sel­ber er­mu­tigt und uns die be­din­gungs­lo­se Er­laub­nis er­teilt. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)