(Ez 1, 28c‑2,5; 2 Kor 12, 7–10; Mk 6, 1b‑6)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Gott Bewerbungsgespräche führen würde, dann weichen die komplett von dem ab, was wir gewöhnlich da erwarten. Ja, es könnte sogar sein, dass wir jemanden eher einen guten Psychologen empfehlen würden, weil er, wie der hl. Paulus, nicht auf seine Stärken, sondern auf seine Schwächen setzt. Gott führt also sehr merkwürdige Bewerbungsgespräche, zu denen er Leute einlädt, die selber nicht auf die Idee kommen würden, sich bei ihm zu melden und zu bewerben. Das zieht sich fast bei allen Berufungsgeschichten in der Bibel wie ein roter Faden durch. Hinzu kommt noch, dass das soziale Umfeld der Berufenen auch so seine Zweifel hat, was die Eignung betrifft. Sehr deutlich wird das heute auch bei Jesus im Evangelium. Man spürt zwar, dass da einer sehr kompetent spricht und handelt, aber dem Handwerkersohn traut man das eigentlich nicht zu. Er hat ja nicht einmal studiert. Und außerdem scheint man besser als Gott zu wissen, wen man für geeignet hält und wen nicht. In der Tat sind bei diesen Maßstäben, die Menschen anlegen, die Schwächen eines solchen Berufenen ein Problem, oft für den Berufenen selber auch. Wie man bei Ezechiel sieht, kommt man bei Gott mit bloßer Unterwürfigkeit nicht weit, im Gegenteil. Gott stellt Menschen immer auf seine Füße, um mit ihm auf Augenhöhe und in Würde zu sprechen.
Der kluge und wohl erste Theologe Paulus hatte mit sich ein Problem, das wir nicht kennen. Er wollte diese Schwäche loswerden. Aber Gott erlaubte es nicht mit der Bemerkung: „Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet“ (2 Kor 12,9). Was für eine Antwort! Die erlebte Schwachheit verhindert vermutlich die Versuchung zum Hochmut und zur Überheblichkeit und macht Platz für das, was Gott wirken möchte. Daraufhin macht Paulus sozusagen „den Bock zum Gärtner“ und will sich seiner Schwachheit, seiner Ängste und Ohnmächte rühmen, also all dessen, wovor wir gewöhnlich weglaufen und was wir so fürchten, wie „der Teufel das Weihwasser“. Paulus nimmt also seine Grenzerfahrungen an und baut nicht auf seine, sondern auf göttliche Kräfte.
Berufung hin oder her: was könnte uns das alles sagen? Vielleicht dies: bejaht mit Gottes Hilfe euer Menschsein. Lebt aus der göttlichen und eurer Erlaubnis, unvollkommen und nicht perfekte Menschen zu sein. Das ist doch eine Sendung, die uns menschlicher und vielleicht auch entspannter macht, aber nicht nur uns, sondern auch die, mit denen wir leben. Wie sagte mal jemand: „Mach’s wie Gott, werde Mensch!“
Das brauchen wir immer, ein Leben lang. Das braucht die Kirche, die Gesellschaft, in der wir leben, das brauchen unsere Mitgeschöpfe, das braucht unsere Welt. Und dazu beruft Gott einen jeden von uns. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)