14. Sonn­tag im Jah­res­kreis B (07.07.2024)

(Ez 1, 28c‑2,5; 2 Kor 12, 7–10; Mk 6, 1b‑6)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
wie ich schon in der Ein­füh­rung zu die­sem Got­tes­dienst an­deu­te­te, sind wir da, wo wir zu Hau­se sind, oft fest­ge­legt. Vie­le ken­nen ei­nen nach drei­ßig Jah­ren ziem­lich gut, aber nicht so, dass die­ses Ken­nen aus­reicht, um ei­nen Men­schen ganz zu ken­nen. Ver­mut­lich ist das auf Er­den eh nicht mög­lich, so­gar für ei­nen sel­ber nicht. Es kommt schon oft vor, dass Men­schen mit die­sem ver­meint­li­chen „Wis­sen“ an­de­re dar­in ein­sper­ren und ih­nen so­zu­sa­gen nicht er­lau­ben, zu wach­sen und sich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, sich zu ver­än­dern. In Be­zie­hun­gen ist das der Tod der Lie­be. Manch­mal spielt man auch sei­ne Rol­le, die er­war­tet wird, ganz gut und nimmt sich sel­ber ge­fan­gen. Dann kann ein Orts­wech­sel ei­ne Be­frei­ung sein, ei­ne Be­frei­ung den Fest­le­gun­gen an­de­rer, aber auch von der ei­ge­nen Rol­le, die man lebt.
Dar­um er­mu­ti­ge ich Ju­gend­li­che im­mer, z.B. nach der Schu­le, viel­leicht ein so­zia­les Jahr zu ma­chen, weil man dann ganz an­ders ge­spie­gelt wird und man sich selbst et­was neu „er­fin­den“ kann.
In den heu­ti­gen Tex­ten sind Eze­chi­el, Pau­lus und Je­sus auch Fest­ge­leg­te und Ge­fan­ge­ne der Er­war­tun­gen an­de­rer. Aber sie sind auch Freie, weil sie sich nicht ge­fan­gen neh­men las­sen. Und letzt­lich lässt man so oft auch Gott nicht ein­fach Gott sein und will ihm vor­schrei­ben, wie er sich in die­ser Welt zu ver­hal­ten hat. Ja, man hat­te kla­re Vor­stel­lun­gen da­von, wie ein Mes­si­as und Pro­phet oder Apos­tel zu sein hat, wie sich Gott kund­tut und wie man sei­ne Nä­he er­fah­ren kann. In der ka­tho­li­schen Kir­che wird oft ein­sei­tig be­tont, dass Gott in sei­nem Wort und in den Sa­kra­men­ten er­fahr­bar wird. Aber da na­tür­lich nicht nur. In je­der Lie­be ist er er­fahr­bar, in je­der mensch­li­chen Ges­te und auch in den Gren­zen, die man sel­ber hat und wo­für heu­te der hei­li­ge Pau­lus ein be­son­de­res Bei­spiel ist. Wie oft nimmt man auch an der Mensch­lich­keit und Schwä­che von Men­schen An­stoß, von de­nen man das nicht er­war­tet und nimmt sie nicht mehr ernst, weil sie eben nicht je­nen Hel­den­vor­stel­lun­gen ent­spre­chen, die uns in Fil­men und Bü­chern als am En­de im­mer sieg­reich und un­ver­wund­bar dar­ge­stellt wer­den.
Für al­le aber, die im Na­men und Auf­trag Got­tes un­ter­wegs sind, ist Schwach­heit ei­ne Gna­de, da­mit sie sich nicht am En­de mit Gott ver­wech­seln, wie der hei­li­ge Pau­lus zu be­rich­ten weiß. Was ha­ben wir manch­mal für ei­ne Angst da­vor, schwach zu sein und ver­letz­lich. Da­bei kann auch die­se zu­ge­las­se­ne Er­fah­rung nach Pau­lus ein Sa­kra­ment sein. Da kann die Kraft Chris­ti er­fahr­bar wer­den, da ist plötz­lich in der Schwach­heit ei­ne Stär­ke, die ei­ne Got­tes­er­fah­rung ist.
Viel­leicht scheint Gott uns manch­mal so fern, weil wir sei­ne Nä­he und Wirk­sam­keit in un­se­re Er­war­tun­gen ein­sper­ren, weil sie uns zu mensch­lich und un­ge­wohnt da­her­kom­men. Wir soll­ten nicht dar­an An­stoß neh­men, son­dern uns an­sto­ßen las­sen, Blick­win­kel zu än­dern und man­che fel­sen­fes­te Stand­punk­te auch.
Mö­gen wir zu die­ser Frei­heit, die wir auch Gott schen­ken wol­len, durch sei­nen Geist be­freit wer­den. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)