(Jes 25, 6a.7–9; 1 Petr 1, 3–9; Joh 20, 19–31)
Liebe Schwestern und Brüder,
im Evangelium des 2. Sonntages der Osterzeit begegnet uns Jahr für Jahr die schöne Ostergeschichte mit Thomas und Jesus. Es ist mir ein Rätsel, wieso man dem Apostel Thomas das Wort „ungläubig“ beigefügt hat. Er war doch nicht gläubiger oder ungläubiger als die anderen! Oder hat irgendeiner von selbst zum Osterglauben gefunden? Ich kann dazu nichts in den Ostergeschichten finden. Immer wird berichtet, dass der Auferstandene selbst kommt und Mühe hat, die Seinen von seiner Auferweckung zu überzeugen.
Es ist also leicht zu behaupten, dass Jesus lebt, wenn dieser Jesus selbst die Flamme des Glaubens neu entzündet hat.
Für Thomas ist klar, dass der Auferweckte nur Jesus sein kann, wenn er den Identitätsausweis seiner Wunden vorweisen kann. Diese Wunden erzählen nicht nur die Liebesgeschichte Jesu und seines Vaters, sondern auch eine Geschichte, die jeder von den Aposteln und Jüngern mitgeschrieben hat. Denn da waren ja schließlich neben wortreichen Bekenntnissen zu Jesus auch eine treulose Flucht, Verrat und Verleugnung. Da war man enttäuscht über sich selbst, weil den großen Worten kleine oder gar keine Taten folgten, wofür Petrus beispielhaft für die Apostel steht. Wer will schon daran erinnert werden, geschweige denn es noch einmal anschauen?
Bei allem Osterjubel und aller Osterbegeisterung wollte Thomas das nicht abkoppeln von einer leidvollen Geschichte davor. Er ist der Einzige, der Wunden ansehen will und Jesus ausdrücklich als Verwundeten und Verletzten anschauen darf. Die Wunden Jesu werden für Thomas zum Erweis dessen, dass dieser Auferweckte keine Einbildung, kein Geist, sondern wirklich sein Geliebter ist.
Für Jesus freilich sind diese Wunden vor allem ein Erweis seiner Liebe bis zum Äußersten. Denn trotz und in aller Verletztheit sagt er immer noch: ich liebe dich. Das ist doch genau jene Liebe, die Menschen sich in der Tiefe ihrer eigenen verletzten Herzen ersehnen und die sie selten erbringen können. Genau diese Liebe leuchtet aus den verklärten Wunden Jesu, die Thomas berühren darf und am Ende vielleicht gar nicht mehr berühren muss. Thomas ist der Zeuge dafür, dass der Auferweckte wirklich der irdisch geliebte Jesus ist. Was ist also hier „ungläubig“?
Thomas zeigt uns auch, dass es um Erfahrung geht und alle Wunden, alles Verletztsein im Himmel nicht einfach wegradiert, sondern geheilt und zu „Orten“ der Gottesbegegnung werden.
Ja, es gibt Zeiten, da sehen wir nichts mehr, da erfahren wir nichts mehr. Ja, dann ist tatsächlich „selig“, wer dennoch vertrauen darf.
Möge uns dieses österliche Vertrauen immer wieder neu geschenkt sein. Möge uns der Apostel Thomas ein Bruder in allem sein, wo wir den Mut haben, zu fragen, zu zweifeln, Wunden anzuschauen, in ihnen ihm zu begegnen und sie von dem Auferweckten heilen zu lassen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)
Aber durch die Wunde in meiner Brust sieht Gott in die Welt.
Ich bin die Tür seiner Wohnung.