(Jes 49, 3.5–6; 1 Kor 1, 1–3; Joh 1, 29–34)
Liebe Schwestern und Brüder,
die Taufe Jesu vom vergangenen Sonntag klingt im heutigen Evangelium irgendwie noch nach. Der Satz, den Johannes sagt, als er Jesus auf sich zukommen sieht, hat Eingang gefunden in die Eucharistiefeier kurz vor dem Kommunionempfang: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (V 29). Wenn ich über diesen Satz nachdenke, dann spüre ich, wie weit weg er vom Empfinden heutiger Menschen entfernt ist. Warum muss Jesus ein „Lamm“ sein? Warum muss er „die Sünde der Welt“ hinwegnehmen und was ist das überhaupt? Ich frage mich, ob das das Grundanliegen Jesu war? Und ist dieser theologische Satz noch zeitgemäß, auch wenn er biblisch ist?
Vergessen wir zunächst nicht, dass das Christentum seinen Ursprung im Judentum hat. In fast allen Religionen wurden zumeist Tiere geopfert, um Götter gnädig zu stimmen und irgendwie die Sünden der Menschen zu tilgen. Ganz in diesem Denken steht der sog. „Sündenbock“, auf den man symbolisch die Sünden der Gemeinschaft legte und ihn dann in die Wüste jagte, wo er jämmerlich umkam. Doch hat dieses Denken noch etwas mit Jesus zu tun? Jüdische Ohren konnten das Schicksal Jesu darin gedeutet sehen. Uns ist dieses Denken dann doch ziemlich fremd, auch wenn wir heute durchaus auch von „Sündenböcken“ sprechen können, zu denen Menschen gemacht werden.
In der Tat verkündete und lebte Jesus einen anderen Geist. Sein Gott war nicht mehr ein von den Sünden der Menschen beleidigter Gott, der Sühne dafür verlangte. Vielleicht ist Gott ein von allen Formen der Lieblosigkeit verletzter Gott. Aber Jesus hat ihn eben nicht als beleidigten und nach Sühne dürstenden Gott verkündet und erfahrbar gemacht, sondern er hat ihn Abba, Papa, genannt, der sich nach Liebe und Vertrauen sehnt. Auch, wenn Jesus mit dieser Botschaft am Kreuz gescheitert ist, weil man offensichtlich mit einem liebevollen Gott nichts anfangen kann, so ändert das Kreuz nicht seine lebenslange Haltung, sondern sie wird im Gegenteil mit Ostern als für alle Ewigkeit bestätigt.
Es ist schon ein großer Unterschied, ob einer mit Wasser oder mit dem Heiligen Geist tauft. Rituale, auch Taufrituale, sind wichtig für eine Glaubensgemeinschaft. Aber am Ende kommt es nicht auf Rituale, nicht auf eine besondere, religiöse Praxis, nicht einmal auf Konfessionen und Religionen an. Am Ende zählt einzig und allein der neue Geist Jesu. Und was war und ist daran neu? Neu ist sein radikal liebevolles Gottesbild, auch wenn es sich am Kreuz in Qualen aufzulösen scheint. Neu ist zudem, dass die Liebe, der Liebesgeist, der schönste und tiefste Gottesdienst ist, den Gott sich ersehnt. „Nur die Liebe zählt“, so sahen es viele Gottesmystiker, wie auch die Therese von Lisieux.
Aber ehrlichweise muss man sagen, dass es so neu nun auch wieder nicht war. Denn Jesus war als Jude mit der Schrift des 1. Testamentes vertraut. Er hat sozusagen den roten Faden erspürt und freigelegt, der so oft in allen Religionen vorhanden ist, die aber das Geheimnis der Liebe Gottes oft nur verdunkeln und es für Eigenzwecke missbrauchen.
Wo der Heilige Geist der Liebe aufleuchtet, da sind Menschen mit dem Heiligen Geist getauft und gehören zu einer „Kirche“, die mehr ist als alle sichtbaren Kirchen zusammengenommen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)