(1 Sam 3, 1–10.19; 1 Kor 13c-15a.17–20; Joh 1, 35–42)
Liebe Schwestern und Brüder,
erdgeschichtlich gab es immer wieder einen Wechsel von Warm- und Kaltzeiten. Wie bei so Vielem wissen wir nicht so recht, warum das eigentlich so ist. Auch in der Glaubensgeschichte Israels gab es immer wieder Zeiten, in denen Gott als nahe oder als ferne erfahren wurde. Das geht dem Christentum nicht anders, ob es das nun wahr haben will oder nicht. Und man sollte vorsichtig mit schnellen Antworten sein, vor allem wenn sie die Ursachen dafür im mangelnden Glauben oder in einer ach so „gottlosen“ und säkularisierten Welt sehen wollen. Und natürlich kennt auch unsere eigene Glaubensgeschichte solche Phasen, die uns mehr oder weniger stark verunsichern können. Warum erwähne ich das? Weil in der 1. Lesung des Lektionar zum heutigen Sonntag wieder einmal Verse wegfallen, die eigentlich wichtig sind. Da heißt es nämlich in Vers 1: „In jenen Tagen waren Worte des Herrn selten; Visionen waren nicht häufig.“ (1 Sam 3, 1)
Es handelt sich also bis dahin um eine Phase des Gottesschweigens. Eine solche Phase gilt es tapfer auszuhalten und nicht gleich wegzureden bzw. wegzuerklären. Eine solche Phase birgt nämlich die Chance, Gott wieder neu zu suchen, weil er doch immer unendlich viel größer ist als alles Denken über ihn, als alle noch so schönen, religiösen Gefühle und tollen Gotteserfahrungen. Es ist darum immer wichtig, Räume zu schaffen, in denen Gottes Schweigen und gefühlte Abwesenheit zur Sprache kommen dürfen, ohne dass einem deswegen mangelnder Glaube unterstellt wird. Es ist wichtig, die Sinne als Gottesfühler zu verstehen und Hören und Sehen zu schärfen. Nicht umsonst steckt in den Sinnen das Wörtchen „Sinn“.
Wir brauchen immer wieder Menschen wie Eli und Johannes, die Erfahrungen haben und uns helfen, Leben und Erfahrungen zu deuten. Beide sind irgendwie Prototypen von echten, geistlichen Begleitern, die Menschen wirklich zu Gott führen und nicht in einen eigenen Fanclub.
Samuel lernt sehen, die Jünger im Evangelium zunächst das Hören und dann auch das Sehen. Ich finde es toll, wie beide von sich wegweisen und den Mut haben, Menschen gehen zu lassen, damit sie ihre je eigene Berufung und ihren Lebenssinn finden und ihr bzw. ihm folgen können. Natürlich hat nicht jeder von uns solche geistlichen Koryphäen an seiner Seite. Vermutlich ist das auch nicht immer nötig. Denn Lebensdeuter, die wir alle immer wieder brauchen, können uns Freunde, SeelsorgerInnen, Kinder, Jugendliche und Senioren werden. Dazu brauchen sie keine Ausbildung, noch müssen sie darum wissen, was ohnehin immer besser ist. Wenn wir demütig und offen genug sind, können wir in ihren Worten Gottes Stimme und in ihren Taten Gottes Tun erkennen.
Manchmal sind es auch Geistesblitze und Gedanken, die uns berühren, manchmal sind es Tiere und Pflanzen, manchmal ganz simpel erscheinende Ereignisse, in denen Gott zu uns spricht. Fast immer aber sind unsere Sinne Sinnerschließer, vor allem da, wo einer wirklich zuhört und im wahrsten Sinne des Wortes Ansehen verleiht. Da muss nicht gleich das Wort „Gott“ im Spiel sein. Man kann auch ohne dieses Wort Sinn und Lebensdeutung finden.
Für Gottsucher freilich hat Sinn und Lebensdeutung immer mit dem Geheimnis Gottes zu tun. Sie entdecken Gott als liebevollen Lebensgrund und dass es Sinn macht und schafft, aus Liebe zu leben, wo und wie immer uns das möglich ist. Möge Gott uns durch seinen Geist dafür die Sinne schärfen und uns Sinn finden und leben lassen. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)