23. Sonn­tag im Jah­res­kreis A (10.09.2023)

(Ez 33, 7–9; Röm 13, 8–10; Mt 18, 15–20)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
wenn wir den bi­bli­schen Tex­ten heu­te ei­ne Über­schrift ge­ben müss­ten, so hie­ße sie wohl: Ver­ant­wor­tung für­ein­an­der. Pau­lus bringt das ja in der 2. Le­sung an die Rö­mer und uns auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die Lie­be ist die Er­fül­lung des Ge­set­zes“ (Röm 13, 10). Das klingt al­les so ein­fach und klar, ist aber in der Pra­xis deut­lich schwie­ri­ger an­zu­wen­den. Was heißt denn „Ver­ant­wor­tung für­ein­an­der“, was heißt „ge­gen­sei­ti­ge Lie­be“? Und es gibt ei­nen Satz im Evan­ge­li­um, den der ir­di­sche Je­sus wohl so nicht ge­sagt ha­ben kann, wenn es da heißt: „Hört er auch auf die Ge­mein­de nicht, dann sei er für dich wie ein Hei­de oder ein Zöll­ner“ (V 17). Da spricht der Evan­ge­list Mat­thä­us in sei­ne Ge­mein­de und ver­gisst in sei­nem Über­ei­fer, was er selbst in Mt 11,19 ge­schrie­ben hat­te, näm­lich dass Je­sus ein „Freund der Zöll­ner und Sün­der“ sei.
Es gibt si­cher­lich auch vie­le, die ger­ne die Rol­le ei­nes Wäch­ters (1. Le­sung) spie­len möch­ten, aber lei­der nicht so, wie es ei­gent­lich ge­meint ist. Hier geht es nicht um Sit­ten­wäch­ter, nicht um Wäch­ter der sog. „rei­nen Leh­re“. Da kann auch nie­mand sei­ne Kri­tik­sucht pfle­gen, die nur nie­der­macht und zer­stö­rend ist. Nein, die Stadt­wäch­ter in der An­ti­ke hat­ten die Auf­ga­be, die Be­völ­ke­rung vor Ge­fah­ren zu war­nen und so ihr Leib und Le­ben zu schüt­zen. Den Wäch­ter zeich­net al­so die lie­be­vol­le Sor­ge um das Wohl der ihm An­ver­trau­ten aus.
Wo Men­schen zu­sam­men­le­ben, kommt es na­tür­lich auch zu Kon­flik­ten. Die sol­len aber im Ver­ständ­nis des Evan­ge­lis­ten Mat­thä­us nicht gleich in die Öf­fent­lich­keit ge­zerrt, son­dern erst ein­mal im per­sön­li­chen Ge­spräch ge­klärt wer­den. Da­bei kann es durch­aus sein, dass die Lie­be uns rät, manch­mal ein­zu­se­hen, dass es auch Kon­flik­te gibt, die man nicht mit al­ler Ge­walt und al­len Mit­teln aus-, son­dern nur ertra­gen kann. Wenn uns das Le­ben ein sog. „Wäch­ter­amt“ zu­mu­tet, dann tun wir das nicht aus ei­ner Po­si­ti­on der Über­le­gen­heit her­aus, nicht aus ei­nem Blick­win­kel des Bes­ser­wis­sens, son­dern in wert­schät­zen­der Acht­sam­keit und lie­be­vol­ler Ver­ant­wor­tung für­ein­an­der. Aber das ist in der Re­gel im­mer sehr schwer und muss uns ei­ni­ges an Selbst­über­win­dung kos­ten, da­mit das Wäch­ter­sein und jeg­li­che, not­wen­di­ge Kri­tik nicht nur ab­wer­tet, ka­putt macht und nie­der­reißt. Viel­leicht müs­sen wir manch­mal ein­fach aus lie­be­vol­ler Ver­ant­wor­tung her­aus den Mut ha­ben, ein schwie­ri­ges The­ma an­zu­spre­chen, wenn je­mand nicht merkt, dass er an­de­ren un­acht­sam auf der See­le und sei­nem Her­zen her­um­tram­pelt. Dann kann es auch sein, dass man sich die­sem Men­schen ent­zie­hen muss, wenn er das nicht ver­steht. Viel­leicht ist das auch der Sinn von: „dann sei er für dich wie ein Hei­de oder ein Zöll­ner“, wo­bei auch ein Hei­de oder Zöll­ner im­mer die Lie­be Je­su er­fah­ren hat.
Je­der mag aus den Tex­ten heu­te mit­neh­men, was ihn be­son­ders an­spricht. Sie sind mög­li­cher­wei­se nicht leicht ins kon­kre­te Le­ben zu über­set­zen. In al­ler De­mut aber soll­ten wir ein Le­ben lang dar­an ar­bei­ten, dass wir ge­gen­sei­ti­ge Lie­be ir­gend­wie im­mer und zu­erst ein­an­der schul­den, wie der hei­li­ge Pau­lus es schon for­mu­lier­te. Gott wird uns be­stimmt ge­ra­de in die­sem Be­mü­hen von Her­zen un­ter­stüt­zen. Ihm sei Dank jetzt und in Ewig­keit. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)