(Gen 2, 18–24; Hebr 2, 9–11; Mk 10, 2–16)
Liebe Schwestern und Brüder,
Teresa von Ávila schrieb einmal: „Gott allein genügt!“ Warum aber muss Gott heute im 2. Schöpfungsbericht feststellen, dass es nicht gut sei, wenn der Mensch allein ist? Der Mensch hatte doch Gott, in dem wir erst ganz unser Genügen finden sollen?! Bevor wir weiter einigen Fragen zum Schöpfungsbericht nachgehen, möchte ich noch einmal ausdrücklich daran erinnern, dass diese Geschichte kein Filmausschnitt des Anfangs, sondern eine theologische Deutungsgeschichte ist, die gegenwärtige Erfahrung in einem gläubigen Gesamtzusammenhang stellen will. Ich erwarte ja von einem Telefonbuch nicht, dass es Biografien von Menschen enthält. So ist es auch mit der Bibel, die nicht vorrangig historische Ereignisse, sondern Glaubensgeschichten enthält und Leben zu deuten versucht.
Der Schöpfungsbericht, den wir heute hörten, enthält viele, tiefsinnige Weisheiten. Als erstes haben wir also gehört, dass dem Menschen Gott allein nicht genügt. Das hat nicht der Mensch, sondern Gott selber festgestellt. Gott ist vielleicht für den Menschen und sein Beziehungsbedürfnis eine Nummer zu groß. Der Mensch, im Hebräischen „Adam“ genannt, ist noch kein Mann, sondern eben ein Mensch. Er braucht eine Hilfe, die nicht eine Hilfskraft oder Putzhilfe, sondern ein hilfreiches, beglückendes und ebenbürtiges Gegenüber ist, das man anschauen, berühren und mit dem man reden kann. Es geht in diesem Schöpfungsbericht nicht um die Ehe, sondern um die tiefste Beziehungssehnsucht des Menschen, die hier exemplarisch an Mann und Frau festgemacht wird. Der Mensch, also Adam, differenziert sich erst in Mann und Frau, als er sich mit Gottes Hilfe durch die Frau als Beziehungswesen erfährt. Die „Rippe“ bedeutet hier nicht Minderwertigkeit, sondern genau das Gegenteil, nämlich Wesensverwandtschaft. Und wie wir zudem wissen, schützen Rippen das Herz. Fehlt aber eine Rippe, dann ist das Herz verletzlich, wie eben bei aller Beziehung und Liebe. Auch hier steht im Hebräischen eigentlich nicht Rippe, sondern Bauteil. Vielleicht hat dann Gott einfach das Herz geteilt, wer weiß?
Komplett unsinnig und unverständlich im Deutschen klingt: „Frau soll sie genannt werden, denn vom Mann ist sie genommen“ (V23). Denn die hebräischen Worte für Mann und Frau sollen auch hier Wesensverwandtschaft sprachlich zum Ausdruck bringen. Denn im Hebräischen heißt Mann „Isch“ und Frau „Ischah“. Bis in die Sprache hinein soll also deutlich werden, wie sehr Isch und Ischah zusammengehören. Alle Überlegung, wer hier mehr oder weniger wert ist, wer zuerst geschaffen wurde oder nicht, hat mit dem Text nichts zu tun und untergräbt schon, wie Gott es von Anfang an gedacht hat.
Diese tiefe, gemeinsame Bezogenheit von Anfang an bezieht sich eben nicht nur auf die Ehe, sondern auf alle Lebensbereiche in Kirche und Welt, wo Frauen und Männer zusammen und ebenbürtig miteinander arbeiten und leben sollen. So hat es Gott von Anfang an gewollt, und darum soll der Mensch nicht trennen, was Gott für alle Bereiche des Lebens verbunden hat. Es gilt sogar, dass Mann und Frau nur zusammen Ebenbild Gottes sein können, der selber zutiefst ein Beziehungsgeheimnis ist. Darum ist folgerichtig die Liebe das oberste Gebot, weil sie in allen Beziehungsebenen, auch strukturell, zum Tragen kommen und Veränderung bewirken soll.
So simpel ist der Schöpfungsbericht also nicht, wie ihn manche lesen wollen. Da steckt wirklich viel Tiefe drin, die noch heute das Potential zu revolutionären Veränderungen hat.
Und was sollen die Kinder heute noch im Evangelium zu diesem Thema sagen? Sie zeigen, wie sehr wir von liebevollen Beziehungen leben und dass wir alle beziehungsbedürftige Wesen sind und bleiben. Wer das nicht wahrhaben will, wird seinem Wesen, anderen Menschen und auch Gott nicht gerecht. Einmal mehr sind Kinder hier Sakramente für ein gotterfülltes Leben. Ohne ihre wesenhafte Grundbotschaft werden wir weder zu uns selbst, noch zueinander, noch zu Gott finden können. Darum „nahm Jesus die Kinder in seine Arme; legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.“ (Mk 10, 16) Wie hieß es noch einmal bei Teresa von Ávila? „Gott allein genügt!“ Wenn Gott die Liebe ist, dann heißt das: „Die Liebe allein genügt!“ Und das stimmt dann am Ende doch. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)