(Jes 49, 8–11; 13–16; Lk 24, 35–48)
Liebe Schwestern und Brüder,
normalerweise sind die Lesungen des Sonntags nach einem klaren Schema aufgegliedert. Die erste Lesung ist immer aus dem 1. Testament, die zweite ist den Briefen des 2. Testaments entnommen und die dritte ist immer aus einem der vier Evangelien. In der Osterzeit allerdings fällt auf, dass es keine Lesung aus dem 1. Testament gibt, wenn man mal von den Antwortgesängen aus dem Buch der Psalmen absieht. Sicher, die Botschaft der Auferstehung ist sehr wichtig. Vielleicht möchte man das mit den ausschließlichen Lesungen aus dem 2. Testament betonen. Aber es fühlt sich für mich doch etwas merkwürdig an, wenn das 1. Testament in der Osterzeit praktisch gar nicht vorkommt. Denn erstens ist doch der Gott Jesu, der ihn von den Toten erweckte, kein anderer als jener, den Jesus in den Texten des 1. Testamentes glaubte und vertraute. Und zweitens gibt es im 1. Testament wunderschöne Texte, die offen sind und dafür öffnen, dass Gott in seiner Liebe Leben auch über den Tod hinaus will. Ohne Zweifel muss man auch der Bibel einen Glaubensprozess zubilligen, in dem Menschen immer wieder neue Seiten an Gott entdecken können bzw. Gott den Menschen einen Glaubenserkenntniszuwachs schenkt.
Wenn wir also den Text aus dem Buch Jesaja, den wir heute gehört haben, mit österlichen Augen lesen, dann öffnet er die Augen unseres Herzens für einen zweifachen Blick. Dann gilt diese Verheißung einmal für unser irdisches Leben und zugleich auch für ein ewiges Leben, das keine irdischen Begrenzungen mehr kennt. Für das 1. Testament freilich waren die Verheißungen dem konkreten, irdischen Leben zugedacht, so wie ja auch Jesus nicht auf ein tolles Jenseits vertröstete, sondern das Reich Gottes als nahe verkündete, indem er irdische Lebensläufe im Sinne des Jesaja in heilsame Wege verwandelte. Gott will doch schon jetzt unser Leben, auch wenn so manche Not uns wie Zion sagen lässt: „Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen!“ (Jes 49, 14)
Die Auferstehung relativiert solch bleibende Erfahrung nicht, noch wird sie einfach dadurch leichter. Aber es ist ein Hoffnungslicht von Gott her da hineingestellt, das Worte in unser Herz leuchtet, wie sie eben in unserem Text heute zu lesen sind: nämlich „den Gefangenen zu sagen: Kommt heraus!, und denen, die in der Finsternis sind: Kommt ans Licht!“ (V9). „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände!“ (V15f)
Warum sollen diese Worte nicht für das irdische, wie auch für das ewige Leben gelten? Wenn Jesus im Evangelium den Jüngern Frieden (Schalom) wünscht, dann ist das etwas Umfassendes. Es ist ein Segenswunsch, der Heil in ganzheitlicher Weise wünscht. Möge dieser Friede uns auch ins Herz gesagt sein, als Heil und Hoffnung für jetzt, für morgen und die Ewigkeit. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)