30. Sonn­tag im Jah­res­kreis A (29.10.2023)

(Ex 22, 20–26; 1 Thess 1, 5c-10; Mt 22, 34–40)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
hof­fent­lich ver­dre­hen man­che nicht ih­re Au­gen, weil ich schon wie­der über die Lie­be pre­di­gen muss. Das ha­be ich ja schon am vo­ri­gen Sonn­tag der Welt­mis­si­on mit der hl. The­re­se von Li­sieux aus­gie­big ge­tan.
Dass Gott ein gro­ßes In­ter­es­se am lie­be­vol­len und ver­ant­wor­tungs­vol­len Mit­ein­an­der hat, das zieht sich schon wie ein ro­ter Fa­den durch das 1. Tes­ta­ment. Ein Bei­spiel da­für war heu­te die Le­sung aus dem Buch Èx­odus. Die Pro­phe­ten ha­ben vor al­lem im­mer wie­der schar­fe So­zi­al­kri­tik ge­übt und nicht et­wa blo­ße Ge­set­zes­er­fül­lung oder Fröm­mig­keit ein­ge­for­dert. Da­bei er­in­ner­ten sie im­mer wie­der an je­ne kon­kre­te Lie­be, die Gott er­wie­sen hat, ge­ra­de auch in der Be­frei­ungs­er­fah­rung aus der Knecht­schaft Ägyp­tens. Die­se sei­ne Lie­be ver­dient es, mit Lie­be er­wi­dert zu wer­den. Was das wie­der­um kon­kret hei­ßen kann, wird in der 1. Le­sung aus dem Buch Èx­odus sehr deut­lich und gilt bis heu­te.
Im Evan­ge­li­um er­fin­det Je­sus das Lie­bes­ge­bot nicht neu. Denn er fasst nur zu­sam­men, was, ent­ge­gen al­ler Vor­ur­tei­le, die man im Hin­blick auf das 1. Tes­ta­ment hat, die Mit­te alt­tes­ta­ment­li­chen Glau­bens ist. Bei­de Ge­bo­te, al­so die Got­tes- und die Nächs­ten­lie­be, fin­den wir so im 1. Tes­ta­ment. Da­bei scheint es leicht zu sein, das ers­te und wich­tigs­te Ge­bot zu hal­ten: „Du sollst den Herrn, dei­nen Gott, lie­ben mit gan­zem Her­zen, mit gan­zer See­le und mit dei­nem gan­zen Den­ken“ (Mt 22,37). Aber ist es das wirk­lich?
Wir al­le tra­gen ganz be­stimm­te Got­tes­bil­der in uns. Das geht ja auch nicht an­ders. Wie will man denn lie­ben, wo­von man gar kei­ne Vor­stel­lung hat? Bild­los lie­ben, ist in je­dem Fall auch ei­ne Ga­be Got­tes, die schein­bar nicht vie­le ha­ben. Aber ei­gent­lich sehnt sich Gott wohl und je­der Mensch da­nach, nicht nur als Bild, son­dern als ge­heim­nis­vol­le Wirk­lich­keit ge­liebt zu wer­den.
Als ers­tes soll­ten wir al­so schau­en, ob wir we­nigs­tens ein Got­tes­bild in uns tra­gen, das man wirk­lich lie­ben kann. Da mö­gen man­che Glau­bens­wäch­ter gleich wie­der Angst be­kom­men und sich fra­gen, wo denn da die Got­tes­furcht bleibt, so wie wir sie in der Re­gel lit­ur­gisch zum Aus­druck brin­gen. Aber auch die Got­tes­furcht ist kei­ne Angst vor Gott, son­dern die dank­ba­re Ehr­furcht vor sei­ner oft so un­be­greif­li­chen Lie­be.
Nor­ma­ler­wei­se soll­ten Herz, See­le und Den­ken ei­ne Ein­heit bil­den, was sie aber oft nicht dür­fen. Wir spal­ten uns ger­ne auf und Un­an­ge­neh­mes ab, um un­ser Le­ben und tat­säch­li­ches Ver­hal­ten ei­ni­ger­ma­ßen er­klä­ren und ein­ord­nen zu kön­nen. Auch das ist ver­ständ­lich. Doch Gott möch­te uns ganz, nicht nur un­ser Ge­fühl, nicht nur un­se­re schö­nen Ge­dan­ken über ihn, nicht nur ein Teil un­se­res see­li­schen Uni­ver­sums, son­dern ganz und gar. Das wol­len na­tür­lich vie­le nicht und wis­sen nicht, wie sie das an­stel­len sol­len. Dar­um ist es ja auch viel leich­ter, re­li­giö­se Übun­gen zu pfle­gen, als sich auf die Müh­sal der Lie­be ein­zu­las­sen.
Letzt­lich will doch auch je­der Mensch so ganz­heit­lich ge­liebt wer­den. Nicht nur in ei­ner kurz­zei­ti­gen Ge­fühls­wal­lung, nicht nur in schö­nen Ge­dan­ken, nicht nur teil­wei­se, son­dern eben ganz. Dar­um ist für Je­sus das zwei­te Ge­bot der Nächs­ten­lie­be ge­nau­so wich­tig wie das ers­te der Got­tes­lie­be. Denn ge­nau da sieht und spürt man, wel­che Got­tes­lie­be, wel­che Got­tes­vor­stel­lung, wir in uns tra­gen und uns ge­schenkt ist.
Ei­ne le­bens­lan­ge Her­aus­for­de­rung bleibt das al­le­mal. Da­zu mö­ge uns die Kraft des Hei­li­gen Geis­tes ge­schenkt sein und im­mer wie­der ehr­li­che Selbst­er­kennt­nis, die nicht vor dem An­spruch täg­li­cher und kon­kre­ter Lie­be in re­li­giö­sen Ak­tio­nis­mus und blo­ßes Mo­ra­li­sie­ren flieht. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)