33. Sonn­tag im Jah­res­kreis A (15.11.2020) – Diaspora-Sonntag

(Spr 31, 10–31; 1 Thess 5, 1–6; Mt 25, 14–30)

Pre­digt von P. Tho­mas Röhr OCT — Audioversion

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
ich ha­be mich ge­fragt, wie ich die bi­bli­schen Tex­te des heu­ti­gen Ta­ges mit dem Dia­spo­ra-Sonn­tag in Ver­bin­dung brin­gen kann. Zu­dem är­gert es mich im­mer wie­der, wie bi­bli­sche Tex­te manch­mal zu­sam­men­ge­kürzt wer­den, so auch heu­te in der 1. Le­sung aus dem Buch der Sprü­che. Wir ha­ben heu­te al­le Ver­se ge­hört, so wie wir sie im Buch der Sprü­che fin­den. Hört man nur die Ver­se aus dem Lek­tio­nar, ver­nimmt man doch ein völ­lig über­hol­tes Bild der sog. „tüch­ti­gen Frau“. Ei­gent­lich ist da von ei­ner „star­ken Frau“ die Re­de. Das Bild, das der voll­stän­di­ge Text von der star­ken Frau ent­wirft, war selbst für an­ti­ke Zei­ten höchst un­ge­wöhn­lich und ist es noch bis heu­te in Welt, Kir­che und Re­li­gio­nen. Und da sind wir auch schon bei dem Dia­spo­ra-Sonn­tag. Schließ­lich muss man doch fest­hal­ten, dass kirch­li­ches Le­ben haupt­säch­lich von Frau­en all­täg­lich am Le­ben er­hal­ten wird. Die star­ke Frau aus dem Buch der Sprich­wör­ter ist eben nicht das „bür­ger­li­che Heim­chen am Herd“, ist eben nicht nur die ge­hor­sa­me Die­ne­rin für al­le. Der voll­stän­di­ge Text setzt ganz an­de­re Ak­zen­te. Die star­ke Frau hat ei­ge­nen Be­sitz, ein ei­ge­nes Haus. Sie hat Be­diens­te­te, ist Un­ter­neh­me­rin. Der gan­ze Haus­halt pro­fi­tiert von ih­rem tat­kräf­ti­gen Tun. Die­se Frau ist zu Hau­se und in der Öf­fent­lich­keit ge­ach­tet und wert­ge­schätzt. Selbst­ver­ständ­lich muss sich die­se Sys­tem­re­le­vant­heit auch im Sys­tem sel­ber zum Aus­druck brin­gen. Denn Gott in­ter­es­siert nicht zu­erst das Ge­schlecht ei­nes Men­schen, son­dern wie er sein Le­ben ge­stal­tet und wie groß und weit sein Herz ist. Ge­eig­net für Be­ru­fe und Be­ru­fun­gen ist man nicht, weil man Mann oder Frau ist, son­dern weil man da­für ge­eig­net und von Gott da­zu be­ru­fen ist. Die star­ke Frau in uns­rem Text ist nicht zu­erst gott­ver­bun­den, weil sie so fromm, son­dern weil sie so tat­kräf­tig ist. Da­durch wird sie zu ei­ner „Toch­ter des Lichts“, wo es in der 2. Le­sung nur „Söh­ne des Lichts“ zu ge­ben scheint.
Tat­kräf­tig das Le­ben an­zu­pa­cken und zu wa­gen, weil Gott uns das zu­traut, ist auch die Sinn­spit­ze des Gleich­nis­ses aus dem Evan­ge­li­um. Ehr­lich ge­sagt, ist mir die Be­hand­lung des Die­ners mit dem ei­nen Ta­lent zu hart und zu un­barm­her­zig. Frei­lich ist die Angst kei­ne gu­te Le­bens­be­ra­te­rin. Und wie oft glau­ben und be­haup­ten wir mehr, als wir am En­de auch tun. Die Angst, dass et­was schief ge­hen könn­te, tut am En­de ge­nau­so weh, wie wenn wirk­lich et­was schief ge­gan­gen ist. Gott aber er­mu­tigt uns zum Ri­si­ko, er­mu­tigt uns, das Le­ben zu wa­gen, auch auf die Ge­fahr hin, dass was schief ge­hen kann. Aber die fro­he Bot­schaft des Die­ners mit dem ei­nen Ta­lent ist doch, dass Gott selbst da noch Le­bens­früch­te fin­det, wo nichts ge­sät wur­de. Gott weiß doch um un­se­re vie­len Ängs­te. Aber sie sol­len uns eben nicht hin­dern, das Le­ben mit Ri­si­ko und Ver­trau­en zu wa­gen. Das ma­chen star­ke Frau­en und Män­ner, star­ke Kin­der und Ju­gend­li­che in der Dia­spo­ra und vie­ler­orts auch. Ih­nen al­len gilt heu­te un­ser be­son­de­rer Dank, in der tie­fen Ver­bun­den­heit mit ei­nem Gott, des­sen Sohn sein Le­ben aus Lie­be für uns ris­kiert und ver­lo­ren hat. Aber auch hier hat Gott et­was Groß­ar­ti­ges ent­ste­hen las­sen, wo schein­bar al­les ver­lo­ren war. Das soll­te uns er­mu­ti­gen und zu „Hoff­nungs­trä­gern“ für vie­le ma­chen. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)