(Jes 7, 10–14; Röm 1, 1–7; Mt 1, 18–24)
Liebe Schwestern und Brüder,
als Jesus öffentlich auftrat, war er um die 30 Jahre alt. Drei Jahre später wurde er gekreuzigt. Diese drei Jahre aber haben die Welt verändert. Erst spät machte man sich darüber Gedanken, was eigentlich in den 30 Jahren passiert ist – und wusste es nicht. Das betraf die Umstände seiner Geburt natürlich auch. Da es in der Antike üblich war, von besonderen Menschen besondere Umstände der Empfängnis und Geburt zu erzählen, übernahmen die Evangelisten Matthäus und Lukas dieses Stilmittel und entwarfen Kindheitsgeschichten Jesu, in die sie ihre theologischen Aussagen über Jesus hineinschrieben.
Diese Geschichten wollen selbstverständlich nicht historisch gelesen, sondern geistlich meditiert werden. Sie enthalten wirklich tiefsinnige Aussagen, die wahr sind, auch wenn sie unsere historische Neugier nicht befriedigen können.
Denn es bleibt dabei: die ersten 30 Jahre des Lebens Jesu bleiben für uns völlig im Dunkeln, auch wenn wir wissen, dass seine Eltern Maria und Josef hießen und Jesus vermutlich wie Josef als Zimmermann gearbeitet hat.
Der hl. Evangelist Matthäus tut zwar so, als wäre alles so gewesen, wie er schreibt, aber sein tiefstes Anliegen sind nicht historische Fakten, sondern seine Botschaft von dem besonderen Menschen Jesus, der eine außergewöhnliche Nähe zum Geheimnis Gottes hatte. Das drückt er eben schon mit der ungewöhnlichen Empfängnis Jesu aus, die durch das Wirken des Heiligen Geistes geschieht. Aber eigentlich geschieht und wird Leben immer letztlich durch das Wirken des Heiligen Geistes. Und jede Mutter wird die Geburt ihres Kindes als ein Wunder bekennen.
Grundaussage des Textes also sind weder historische, noch biologische, sondern theologische und spirituelle Aspekte, die vor allem Jesus betreffen, dessen Nähe und Herkunft aus Gott nicht besser formuliert werden kann als mit dem Begriff des „Sohnes Gottes“.
Gott also bricht in einer Weise in das Leben von Menschen ein, dass das echt zu Krisen führen kann, weil Gott sich offensichtlich nicht an Konventionen hält, an das, was wir von ihm glauben sollen und wollen und was wir für normal halten. Maria und Josef sind Menschen, die für das Geheimnis Gottes offen und die auch innerliche Menschen sind, weil sie über das nachdenken, was in ihnen und mit ihnen passiert. Insofern passen sie beide eigentlich ganz gut zusammen.
Gott berührt die beiden und wird zu einer Brücke vertiefter Beziehung. Letztlich erweist sich Gott in den beiden als der, der er immer sein will: als Immanuel, als „Gott mit uns“. Dies bekommt in dem Kind Jesus ein wundervolles Gesicht und Herz, so sehr, dass das Geheimnis Gottes selbst in diesem Kind erfahrbar wird.
Eine solche Erfahrung wünsche ich uns allen im Blick auf die vierte Kerze am Adventkranz und weit darüber hinaus. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)