(1 Sam 16, 1b.6–7.10–13b; Eph 5, 8–14; Joh 9, 1–41)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Gott „Wahlen“ abhält, dann wählt er meistens keine alten Männer, sondern jene Jüngsten, die niemand auf dem Schirm hat und denen man auch nicht zutraut, ein wichtiges Amt übernehmen zu können. So lesen und hören wir es heute bei der Berufungsgeschichte des David. Gott hat halt so seine eigene Art, Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche, Junge und Alte, zu rufen und in Dienst zu nehmen. Auch dies ist in der Bibel ein roter Faden, wie Gott immer wieder Menschen in Anspruch nimmt und anredet. Man spricht dann auch von „Berufung“, die jeder Mensch hat, auch wenn sie in den seltensten Fällen ins Priesterseminar bzw. ins Kloster oder in einen kirchlichen Beruf führen. Leider aber fixiert man sich immer wieder nur auf diese drei Berufungsmöglichkeiten und ist blind für die vielen anderen Berufungen, die Gott zu jeder Zeit schenkt.
Im Evangelium sind religiöse Profis, hier Pharisäer genannt, die eigentlich Blinden, die nicht sehen wollen, was es nicht geben darf und doch vor Augen liegt. Es scheint fast so, als wöllten sie nicht, dass jemand im wahrsten Sinne des Wortes wieder „Durchblick“ hat. Denn dann kann man ja diese Menschen nicht mehr wie Unmündige behandeln. Sie nehmen den sehend gewordenen Blinden ohnehin nicht ernst, stellen immer wieder die gleichen Fragen, als wären sie taub, und wollen seine Erfahrung, seine Antwort, einfach nicht hören und nicht ernst nehmen. Schließlich reden sie gar nicht mehr mit ihm, sondern mit seinen Eltern über ihn. Was nicht in ihr Weltbild passt, darf es einfach nicht geben. Was sie ohnehin von dem ehemals Blinden halten in ihrer Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit erfahren wir, wenn sie ihn an den Kopf werfen, dass er ganz und gar in Sünden geboren ist (V34) und ihn einfach exkommunizieren. Ja, Jesus trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt: „ich bin gekommen, damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden“ (V39).
Tatsächlich fragt man sich manchmal, wer eigentlich blind und wer sehend ist. Vorsichtig müssen alle sein, die sich für „sehend“ bzw. wissend halten und all jene abwerten, die sie für blind halten.
Das Evangelium lehrt uns u.a., dass die existentielle Not eines Menschen weder eine Strafe Gottes, noch Grund in irgendwelchen Sünden hat, im Gegenteil. Gerade an diesem Blinden will Gott zeigen, was er für alle Menschen will, nämlich dass sie Sehende werden, nicht nur das Negative, das Eingrenzende, das „Einleuchtende“, sondern auch das Schöne, das Befreiende, das Miteinander Verbindende. Jesus weiß, dass es Wunden gibt, die blind machen können. Er berührt sie und schenkt Kraft, sie anzusehen und möglicherweise auch anzunehmen. Nur dann kann doch Heilung geschehen, kann Durchblick wieder geschenkt werden.
Es mag sein, dass der sehend Gewordene exkommuniziert ist. Aber er hat eine befreiende Gemeinschaft gefunden, die heilsam ist und sehend macht, vor allem aber Jenen, der Licht sein will und Befreier aus allem, was Gefangenschaft, Unmündigkeit und Unheil bedeutet.
Eine solche Erfahrung wünsche ich uns, egal, in welcher Form von Berufung wir gerufen sind. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)