(2 Chr 36, 14–16.19–23; Eph 2, 4–10; Joh 3, 14–21)
Liebe Schwestern und Brüder,
immer wieder wird mir bewusst, wie situationsbedingt das Predigen ist. Eine Predigt von Birkenwerder kann man vermutlich nicht so in Krisen – und Kriegsgebieten halten, wenn man will, dass sie etwas mit dem konkreten Leben zu tun haben soll. Außerdem spielt natürlich auch die Gesellschaftsform, in der man lebt, eine große Rolle. Sie prägt ja auch das Denken und Fühlen der Menschen, die man mit einer Predigt erreichen möchte. Oder aber man verlegt sich als Prediger auf allgemeingültige Sätze, die man weltweit in gleicher Weise zu akzeptieren hat. Das hat aber mit dem konkreten Leben dann nix mehr zu tun.
Wir dürfen hierzulande froh sein, in einer Demokratie leben zu dürfen, die uns viele Freiheiten und Möglichkeiten schenkt. Wir leben aber auch in einer Leistungsgesellschaft, die das Leben vieler bedrückt.
Manchmal scheint es auch, als wäre uns in diesem Zusammenhang abhandengekommen, wie viel und Wertvolles uns in unserem Leben schlicht geschenkt und unverdient ist. Dazu gehören Liebe und Freundschaft, innerer Friede, eine Atmosphäre der Wertschätzung als einmalige und individuelle Personen und Vieles mehr. Hinzu kommt möglicherweise ein Gefühl des Unabhängig-sein-wollens und von niemandes Gnade und Wohlwollen abhängig sein zu müssen. Leider macht diese Einstellung das Leben oft nicht heller, sondern dunkler.
Der Satz des heiligen Paulus im Brief an die Épheser „Aus Gnade seid ihr gerettet, nicht aus eigener Kraft“ (Eph 2, 5.8), dieser Satz erscheint uns vielleicht unangenehm, wo wir uns doch so Vieles selbst erarbeitet haben. Das ist ja auch gut und unbestritten, nur kann sich das eben leider nicht auf alle Bereiche des Lebens beziehen.
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie beschämt wir zu vertuschen suchen, wo wir mit unseren Begrenztheiten, Fehlern und unseren Bedürftigkeiten konfrontiert werden. Dabei kostet das so viel kostbare Lebensenergie, die wir für ganz andere Dinge brauchen.
Im Grunde wollen uns die biblischen Texte des heutigen Sonntages von jener krankmachenden Ideologie befreien, dass wir alles selber machen und uns in jedem Fall, auch religiös, ständig rechtfertigen müssen. „Nein“ sagt Gott zu dieser Ideologie, „Ja“ zu uns als gebrochene, bedürftige und unvollkommene Wesen, was nicht ausschließt, in dieser Hinsicht auch etwas daran zu arbeiten.
Ja, ob wir es wollen oder nicht, ich kann auf einem Sack voller Aktien sitzen, aber totunglücklich sein, weil sie mir keine Liebe und Wertschätzung meines einmaligen Soseins geben können.
Ich kann durchaus als religiöser Mensch großartige, religiöse Dinge tun, aber sie erzwingen Gottes Liebe und garantieren sie nicht, auch kein leidfreieres und leichteres Leben.
Vielleicht braucht man einfach auch für diese Erkenntnis und Erfahrung ein paar Jahre menschlichen Lebens. Aber das ist nicht notwendigerweise so. Ich kenne viele junge Menschen, auch Kinder, deren Weisheit mich sprachlos macht und meine Weisheit alt aussehen lässt.
Jedenfalls bin ich froh, dass bei Gott kein Leistungsprinzip gilt, sondern nur letztlich ein nicht mehr begründbares Vertrauen, das Er uns noch einmal selber ins Herz legen muss und für die Erlaubnis, ein begrenzter, aber reich beschenkter, Mensch sein zu dürfen.
Dass uns diese Erkenntnis und Erfahrung nicht verunsichert, sondern erfreuen möge, das wünsche ich uns besonders am heutigen Laetare-Sonntag. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)