4. Sonn­tag der Os­ter­zeit / Gute–Hirte-Sonntag (08.05.2022)

(Ez 34; Offb 7, 9.14b-17; Joh 10, 27–30)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
es ist er­staun­lich, dass man in der Os­ter­zeit kei­ne ein­zi­ge Le­sung aus dem 1. Tes­ta­ment zu hö­ren be­kommt. Fast scheint es, als gä­be es im 1. Tes­ta­ment kei­ne hoff­nungs­vol­len Tex­te über den Tod hin­aus. Da­bei ist das mit­nich­ten so, wie schon ein Blick in das Buch der Psal­men zeigt.
Und na­tür­lich gibt es auch für den heu­ti­gen „Gu­te Hir­te Sonn­tag“ im 1. Tes­ta­ment Tex­te vom gu­ten Hir­ten „Gott“, wie wir bei Eze­chi­el im Ka­pi­tel 34 ge­hört ha­ben. Of­fen­sicht­lich hat­ten schon im­mer ge­ra­de je­ne gro­ße Mü­he ih­rer Ver­ant­wor­tung ge­recht zu wer­den, die sich ger­ne „Hir­ten“ nann­ten bzw. wa­ren, re­li­gi­ös wie po­li­tisch. Eze­chi­el 34 liest sich wie ei­ne Ab­rech­nung mit Hir­ten, die ih­re Macht vor al­lem für sich selbst miss­brauch­ten, de­nen an den ih­nen An­ver­trau­ten nicht wirk­lich et­was lag. Kein Wun­der, dass die Men­schen al­ler Zei­ten von Hir­ten träum­ten, die wirk­lich gut wa­ren und es auch ra­di­kal gut mein­ten. Doch bis heu­te gibt es zu vie­le Men­schen, die schlech­te Hir­ten in gro­ße Be­dräng­nis brach­ten, ja die nie zu ei­nem men­schen­wür­di­gen Le­ben fin­den durf­ten. Man müss­te für sie ei­nen Him­mel er­fin­den, der ih­nen gibt, wo­nach sie sich ein Le­ben lang ver­geb­lich ge­sehnt hat­ten.
Die Vi­si­on des Jo­han­nes aus dem Buch der Of­fen­ba­rung ist ein ös­ter­li­cher Zu­kunfts­traum für al­le Men­schen, die aus den gro­ßen Be­dräng­nis­sen des Le­bens kom­men. Da geht es na­tür­lich nicht nur um ver­folg­te und be­dräng­te Chris­ten, son­dern um ei­ne gro­ße Schar aus al­len Na­tio­nen und Stäm­men, Völ­kern und Spra­chen (Offb 7,9). Gott ist kein Gott, der nur ei­ner Grup­pe ge­hört. Nein, er ist der Gu­te Hir­te al­ler Men­schen und Ge­schöp­fe. Schließ­lich sind sie al­le sei­ne ge­lieb­ten Kin­der. Er will, dass nie­mand aus sei­ner himm­li­schen Zu­kunft aus­ge­schlos­sen ist, schon gar nicht je­ne, de­nen das Le­ben und schlech­te Hir­ten übel mit­ge­spielt hat­ten.
„Das Lamm“ in dem Text ist kein be­ängs­ti­gen­des Sym­bol, son­dern ei­ne Zu­spit­zung des Gu­ten Hir­ten, der trös­ten, Trä­nen ab­wi­schen und er­füll­tes Le­ben schen­ken möch­te. Die­ses Lamm, das den Auf­er­weck­ten sym­bo­li­siert, hat zu ir­di­schen Leb­zei­ten vor­ge­lebt, was Gu­te-Hir­te-Sein be­deu­tet. Denn er woll­te zwar auch ei­ne kraft­vol­le, ös­ter­li­che und tröst­li­che Zu­kunft für al­le über den Tod hin­aus. Vor dem Tod aber hat er al­les ge­tan, um auch ein le­bens­wer­tes, ir­di­sches Le­ben zu er­mög­li­chen und dar­in die Nä­he Got­tes, Reich Got­tes ge­nannt, an­zu­sa­gen und er­fahr­bar zu ma­chen.
Das bleibt Auf­ga­be für al­le, die sich, so gut sie kön­nen und im Blick auf den Gu­ten Hir­ten, dar­um be­mü­hen, sel­ber ei­ne gu­te Hir­tin, ein gu­ter Hirt, zu sein – ob nun als Mut­ter oder Va­ter, als Bru­der oder Schwes­ter, als Freun­din oder Freund, als Ge­lieb­te oder Ge­lieb­ter oder als was und wer auch im­mer. Sie al­le sind in je­dem Fall dann Sa­kra­men­te des Gu­ten Hir­ten. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)