5. Fas­ten­sonn­tag C (03.04.2022)

(Jes 43, 16–21; Phil 3, 8–14; Joh 8, 1–11)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
das la­tei­ni­sche Wort „Mi­se­re­or“ heißt „Er­bar­men“. Die­ses Wort durch­zieht heu­te un­se­re bi­bli­schen Tex­te. Die­ses Wort schreit ge­ra­de­zu da­nach, ein Tä­tig­keits­wort zu sein und zu wer­den in ei­ner Welt, die manch­mal so hoff­nungs­los die Tu­gend des Er­bar­mens ver­mis­sen lässt. Manch­mal ha­ben wir echt kei­ne Ah­nung mehr, wie es ei­gent­lich wei­ter­ge­hen soll. Auch die Is­rae­li­ten im ba­by­lo­ni­schen Exil hat­ten kei­ne Hoff­nung auf Ver­än­de­rung ih­rer Si­tua­ti­on mehr. In die­se Si­tua­ti­on spricht der Pro­phet Je­sa­ja im Na­men Got­tes Zu­kunft und Er­bar­men zu. Sol­che Pro­phe­ten ha­ben Men­schen zu al­len Zei­ten nö­tig, auch die Men­schen un­se­rer Zeit, weil nur ei­ne kraft­vol­le Hoff­nung kon­kre­te Schrit­te aus all­ge­mei­nen Ge­lähmt­hei­ten för­dern und er­mög­li­chen kann.
Die Bil­der der Er­mu­ti­gung, die Je­sa­ja ver­wen­det, sind groß­ar­tig. Sei­ne Wor­te wol­len er­mu­ti­gen, nicht in der Ver­gan­gen­heit kle­ben, nicht in der Dau­er­schlei­fe von Schuld­be­kennt­nis­sen ste­cken zu blei­ben, son­dern im Na­men Got­tes auf­zu­bre­chen und neu­es Le­ben, neue We­ge, neu­es Den­ken zu wa­gen. Frei­lich gibt es im­mer vie­le, die ei­nem in nicht er­kann­ter Selbst­ge­rech­tig­keit ei­nen Neu­an­fang nicht gön­nen. Das Wun­der im Evan­ge­li­um ist doch, dass tat­säch­lich al­le An­klä­ger ein­se­hen, sel­ber nicht schuld­los zu sein. Wie vie­le sind da­zu ge­ra­de auch heu­te nicht in der La­ge! Die­se si­cher ein zu selbst­ge­rech­tes Selbst­bild de­mü­ti­gen­de Selbst­er­kennt­nis nimmt aber jeg­li­che Ba­sis, den gro­ßen und er­bar­mungs­lo­sen Rich­ter und Ver­ur­tei­ler spie­len zu kön­nen. Auch Je­sus sagt zu der an­ge­klag­ten Frau Wor­te tröst­li­cher Zu­kunfts­er­mög­li­chung: „Auch ich ver­ur­tei­le dich nicht!“ (Joh 8,11). Er legt uns nicht er­bar­mungs­los auf Ver­gan­ge­nes fest. Das ist nie im Sin­ne Got­tes. Selbst das „Geh und sün­di­ge von jetzt an nicht mehr!“ ist nicht zu­erst ei­ne Mah­nung, son­dern ei­ne Ver­hei­ßung. Sie be­sagt ja nicht, dass wir kei­ne Feh­ler mehr ma­chen wer­den. Sie er­mu­tigt nur, nicht im­mer wie­der die­sel­ben Feh­ler zu ma­chen.
Ge­ra­de im Be­zug auf den Kli­ma­wan­del soll­ten wir uns von Je­sus sa­gen las­sen: „Geht und lebt mehr aus Got­tes lie­be­vol­lem Geist, der sich mit al­len und al­lem in gro­ßer Tie­fe ver­bun­den fühlt. Die­se Zu­sa­ge und nicht Ver­ur­tei­lun­gen füh­ren eher zu ver­än­der­tem Ver­hal­ten, das le­bens­för­der­li­cher, ge­rech­ter und barm­her­zi­ger sein wird. Das ist das Neue, das Gott sel­ber will und schafft.
Auch Pau­lus will nicht in sei­ner pa­tho­lo­gi­schen Ver­gan­gen­heit ste­cken blei­ben, in ei­nem Le­ben, das vor­ran­gig aus Selbst­ge­rech­tig­keit und Selbst­recht­fer­ti­gun­gen be­stand. Das führ­te ja auch am En­de zu Mord und Tot­schlag, wie wir wis­sen. Auch er er­fuhr ei­nen un­ver­hoff­ten Neu­an­fang durch Gott, der ihn aus der Selbst­ge­rech­tig­keit be­frei­te und ihm ei­nen Neu­an­fang schenk­te, auf der Ba­sis von Ver­trau­en, Dank­bar­keit und Ge­rech­tig­keit, die nicht selbst ge­macht, son­dern durch Got­tes Lie­be ge­schenkt ist.
Mö­gen wir al­le und mög­lichst vie­le Men­schen in die­se gott­ge­schenk­te Hal­tung hin­ein­ver­wan­delt wer­den, in ein neu­es Mit­ein­an­der, das Gott, die Men­schen, die Ge­schöp­fe und un­se­re Mut­ter Er­de ein­schließt. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)