5. Sonn­tag der Os­ter­zeit (02.05.2021)

(Jes 32, 15–19; 1 Joh 3, 18–24; Joh 15, 1–8)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
von An­fang an war klar, dass der Geist der Lie­be das Grund­prin­zip christ­li­chen Le­bens ist. Von An­fang an war auch klar, wie schwer es ist, tat­säch­lich und im All­tag dar­aus zu le­ben. So war und ist blo­ße Fröm­mig­keit, sind blo­ße Lip­pen­be­kennt­nis­se und das blo­ße Fest­hal­ten an sog. „ewi­gen (abs­trak­ten) Wahr­hei­ten“ will­kom­me­ne Flucht­mög­lich­kei­ten, um sich dem An­spruch und der Mü­he täg­li­cher Lie­be nicht stel­len zu müs­sen. Denn nicht um­sonst heißt es heu­te im 1. Jo­han­nes­brief: „Mei­ne Kin­der, wir wol­len nicht mit Wort und Zun­ge lie­ben, son­dern in Tat und Wahr­heit“ (1 Joh 3, 18). Das galt doch nicht nur für die Chris­ten von da­mals, son­dern gilt für die Chris­ten al­ler Zei­ten. Wie war und ist es über­haupt mög­lich, dass Chris­ten, Amts­trä­ger im­mer ein­ge­schlos­sen, die Grund­bot­schaft der Lie­be so leicht und oh­ne schlech­tes Ge­wis­sen ver­ga­ßen bzw. ver­ges­sen und in Tat und Wahr­heit Lie­belo­sig­keit leb­ten und le­ben? Über­all da, wo Dog­ma­tik, Mo­ral, die rei­ne Leh­re, kor­rek­te Lit­ur­gie und ei­ne abs­trak­te Kir­che der letz­te und al­lei­ni­ge Maß­stab ge­wor­den sind, hat oft die Lie­be ver­lo­ren.
Ein ers­ter Schritt aus ei­nem lieb­los ge­wor­de­nen Selbst­ver­ständ­nis ist das Be­kennt­nis, dass es schlicht ein Über­maß an „mit Wort und Zun­ge lie­ben“ gibt, auch im per­sön­li­chen Le­ben. Das tut zu­nächst weh, rüt­telt an ei­nem oft müh­sam zu­sam­men­ge­bas­tel­ten Selbst­bild, gibt aber der Lie­be ei­ne neue Chan­ce, die Gott uns ger­ne wie­der ins Herz legt. Denn na­tür­lich ver­ur­teilt uns oft un­ser Herz, das wir im Lärm un­se­rer Ge­schwät­zig­keit nicht mehr hö­ren konn­ten. Aber die schmerz­li­che Selbst­er­kennt­nis wird zu ei­ner tröst­li­chen Got­tes­er­fah­rung, dass Gott eben grö­ßer ist als un­ser Herz und al­les weiß (V 20). Je­der, der Er­kennt­nis­se von Psy­cho­lo­gie, Ge­hirn­for­schung, Ge­ne­tik und kul­tu­rell wie so­zi­al be­ding­te Ab­hän­gig­kei­ten ernst nimmt und zu­lässt, weiß, wie letzt­end­lich wun­der­bar je­der Fun­ke und je­de noch so klei­ne Form von Lie­be ist. Im­mer wird un­se­re Lie­be ein Wun­der blei­ben, wird sie in Span­nung ste­hen zwi­schen „Wort und Zun­ge“ und „Tat und Wahr­heit“. Das soll­ten wir uns im­mer ehr­lich ein­ge­ste­hen, in al­ler De­mut und mit gro­ßem Gott­ver­trau­en. Denn oh­ne Lie­be ist der Glau­be ei­ne Il­lu­si­on und Selbst­be­trug.
Es geht nicht um ei­ne Lie­be, auf die wir uns wie­der et­was ein­bil­den könn­ten. Es geht um ei­ne Lie­be, die Gott sel­ber uns ge­schenkt hat und die un­ser Le­ben wahr­haf­ti­ger, lie­be­vol­ler und barm­her­zi­ger macht. Das ist der Geist, der uns und an­de­ren deut­lich macht: hier ist das Ge­heim­nis der Lie­be na­he, zum Trost für uns selbst, aber auch für all je­ne Men­schen und Ge­schöp­fe, die ge­ra­de ein Zei­chen un­se­rer Lie­be als Sa­kra­ment der Lie­be Got­tes er­war­ten und er­seh­nen. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)