5. Sonn­tag der Os­ter­zeit (15.05.2022)

(Jes 32, 15–19; Offb 21, 1–5a; Joh 13, 33a-35)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
wenn ich die ers­te und zwei­te Le­sung heu­te so hö­re, dann schei­nen mir die groß­ar­ti­gen Vi­sio­nen ei­nes neu­en Him­mels und ei­ner neu­en Er­de so­wie das Hof­fen auf den „Geist aus der Hö­he“ ir­gend­wie ein in­di­rek­tes Ein­ge­ständ­nis da­für zu sein, dass wir Men­schen wohl Recht, Ge­rech­tig­keit und Frie­den von al­lei­ne für un­se­re Welt nicht hin­be­kom­men, je­den­falls nicht dau­er­haft. Die meis­ten Men­schen die­ser Welt wer­den das er­seh­nen, ei­ne Welt des fried­li­chen Mit­ein­an­ders, ei­ne Welt, in der es nur noch Freu­den­trä­nen gibt, ei­ne Welt, in der Tod, al­le Trau­er, al­le Kla­ge, al­le Müh­sal end­gül­tig und für al­le Ewig­kei­ten kei­ne Rea­li­tä­ten, son­dern nur noch Fremd­wör­ter sein wer­den. Es könn­te fast schei­nen, als ver­trös­te­ten wir uns an­ge­sichts un­be­greif­li­cher Rea­li­tä­ten doch auf ei­ne Zu­kunft, auf ein Jen­seits, die uns ge­schenkt wer­den müs­sen. Für re­li­giö­se Men­schen ist Gott die Quel­le für al­le Hoff­nung auf ei­nen Wan­del, der al­le schmerz­li­che Be­gren­zung hin­weg­nimmt.
Heißt das nun, dass wir die Hän­de in den Schoß le­gen kön­nen? Na­tür­lich nicht! Das ers­te, was wir tun kön­nen, ist, dank­bar dar­über zu sein, wenn un­ser Le­ben ge­ra­de kei­ne Trau­er, kei­ne Kla­ge, kei­ne Müh­sal im Über­maß kennt. Auch je­der Tag, den wir in Frie­den le­ben dür­fen, ist ein gro­ßes Ge­schenk. Und je­der von uns ist in die Ver­ant­wor­tung da­für ge­nom­men, dass er in Ge­dan­ken, Wor­ten und Wer­ken ei­ne fried­li­che­re und ge­rech­te­re Welt mit­ge­stal­tet, wie im­mer und wo im­mer er kann. Die Hoff­nung auf ei­ne pa­ra­die­si­sche Zu­kunft, auf ei­ne end­gül­ti­ge Be­frei­ung von al­lem, was schmerz­li­che Gren­zen setzt, er­in­nert uns dar­an, dass nicht wir es sind, die die­sen end­gül­ti­gen Zu­stand von Him­mel her­stel­len kön­nen. Aber die­se Vi­si­on, die­se Hoff­nung, mag uns dar­in be­stär­ken, schon jetzt an ei­ner Welt mit­zu­bau­en, täg­lich, hier und heu­te, in der Recht, Ge­rech­tig­keit und Frie­den ei­ne Chan­ce ha­ben.
So neu ist das Ge­bot Je­su, ein­an­der zu lie­ben, nicht. Das durch­zieht auch schon das ers­te Tes­ta­ment. Ich glau­be so­gar, dass die­ses Ge­bot in je­dem Men­schen­her­zen zu Hau­se ist. Aber es ist toll, dass Je­sus nicht ei­ne be­son­de­re Fröm­mig­keit, nicht be­son­de­re, re­li­giö­se Leis­tun­gen zum Maß­stab ge­mein­sa­men Christ­seins ge­macht hat, son­dern die Lie­be. „Dar­an wer­den al­le er­ken­nen, dass ihr mei­ne Jün­ger seid: wenn ihr ein­an­der liebt.“ (Joh 13,35)
Die Art und Wei­se, wie wir als Men­schen mit­ein­an­der um­ge­hen, ist die wich­tigs­te Form von Ver­kün­di­gung. Frei­lich ist das Ein­an­der lie­ben viel zu un­kon­kret. Doch die Tex­te des heu­ti­gen Sonn­ta­ges ge­ben kon­kre­te Hin­wei­se. Wo im­mer es uns mög­lich ist, dem Recht, der Ge­rech­tig­keit und dem Frie­den ei­nen Weg zu be­rei­ten, soll­ten wir es tun. Wo im­mer es uns mög­lich ist, Trau­er, Kla­ge und Müh­sal zu lin­dern oder gar weg­zu­neh­men, Trä­nen ab­zu­wi­schen und zu trös­ten mit mensch­li­cher Nä­he und Acht­sam­keit, da bre­chen Le­ben und Hoff­nung auf, da be­rührt der Him­mel die Er­de, da wird Lie­be kon­kret, da wohnt das Ge­heim­nis Got­tes mit­ten un­ter den Men­schen. Die gro­ße Hoff­nung mö­ge uns be­flü­geln, all‘ den klei­nen Hoff­nun­gen zum Recht und zum Le­ben zu ver­hel­fen, auch wenn die gro­ße Be­frei­ung und die himm­li­sche Wand­lung noch aus­ste­hen. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)