(1 Kor 10, 31–11,1; Mk 1, 40–45)
Liebe Schwestern und Brüder,
das Tagesgebet zum heutigen Sonntag lautet: „Gott, du liebst deine Geschöpfe, und es ist deine Freude, bei den Menschen zu wohnen. Gib uns ein neues und reines Herz, das bereit ist, dich aufzunehmen.“
Irgendwie bin ich bei diesem Gebet hängen geblieben. Das Schönste, was über unser Leben segnend gesagt ist, ist doch, dass uns die unendliche Liebe Gottes umfängt und trägt, ja, dass sie die Grundkraft allen Seins ist. Gott liebt nicht nur den Menschen, sondern alle Geschöpfe. Auch darum haben sie für uns einen unschätzbaren Wert. Weil auch die Geschöpfe, ja die ganze Schöpfung, Lieblinge Gottes sind, sollten wir sie dementsprechend liebevoll behandeln. Das ist leider im Laufe der Geschichte immer wieder aus dem Blick geraten, auch weil man sich zu einseitig auf den Menschen und sein „ewiges Seelenheil“ konzentriert hat.
Meistens waren es die sog. Mystiker, deren Liebe zu Gott sich nicht in der Bewahrung und Verteidigung „ewiger Wahrheiten“ erschöpfte, sondern sich zu einer allumfassenden Liebe ausweitete, die alle und alles in diese Liebe einschloss. Sie stritten nicht um rechte Ansichten, sondern lebten eine Liebe, die ihre Mitmenschen und Mitgeschöpfe als Freunde und Kinder Gottes erkannten und wertschätzten. Wer wirklich vom Geheimnis der Liebe ergriffen und berührt worden ist, dessen Liebe wird grenzenlos und Grenzen überwindend. Da liebt man nicht nur Seinesgleichen, sondern auch jene, die einem in ihren Lebensansichten und ‑weisen als fremd erscheinen. Diese Art von Liebe ist immer ein untrügliches Kennzeichen echter Gottverbundenheit, und zwar in allen Religionen und Weltanschauungen. Darum sind alle Mystiker Freunde. Und diese gottgeschenkte Liebe ist heilend und heilsam, wie die Praxis Jesu immer wieder zeigt.
Manchmal kann man es kaum glauben, dass es Gott eine Freude sein soll, bei den Menschen zu wohnen, wenn man sieht, was Menschen einander antun können und wie sie mit wenig liebevollem Einfühlungsvermögen die Geschöpfe und die Schöpfung oft zugrunde richten können. Aber dass Gottes Liebe grenzenlos ist, hat er in Jesus und schlussendlich am Kreuz in letzter Konsequenz als echt und unerschütterlich erwiesen und bestätigt. Diese immer ganz und gar unfassbare Liebe Gottes, die die Hintergrundstrahlung des ganzen Universums ist, ist und bleibt unsere tiefste Hoffnung, was immer auch geschieht. Sie ist und bleibt unser tiefster Lebensgrund, der uns hält und der uns Quelle der Kraft, des Trostes, der Liebe und Barmherzigkeit ist. Darum ist es richtig und wichtig, Gott um „ein neues und reines Herz“ zu bitten, „das bereit ist, ihn aufzunehmen.“ Wie schwer fällt es unseren doch immer wieder verletzten und zum Misstrauen neigenden Herzen, Vertrauen und Liebe zu wagen! Wie schwer fällt es uns immer wieder, uns so voraussetzungslos von Ihm lieben zu lassen und diese Liebe anzunehmen, wo wir ständig meinen, uns diese erst verdienen zu müssen. Wie schnell werden unsere Herzen hart, weil wir meinen, uns diese Liebe verdient zu haben.
Wenn Gott uns also in seiner großen Liebe ein neues und reines Herz schenkt, dann sind wir befreit von allem Leistungs- und Rechtfertigungsdruck (zumindest Ihm gegenüber). Dann wohnt Gott nicht nur bei uns, sondern in uns und lässt uns mitlieben an seiner großen, alles umfassenden, Liebe. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)