(Jer 17, 5–8; 1 Kor 15, 12.16–20; Lk 6, 17.20–26)
Liebe Schwestern und Brüder,
„verflucht der Mensch, der auf Menschen vertraut“ (Jer17,5), diesen Satz möchte ich keinem meiner Freunde und Freundinnen sagen. Ja, diesen Satz möchte ich überhaupt nicht sagen in eine Welt, wo sich so viele Menschen nach Vertrauen sehnen, wo Vertrauen so lebensnotwendig ist für ein menschliches und friedliches Miteinander in Politik, Gesellschaft, Kirche und im Privaten. Stärkt dieser Satz nicht all‘ jene, die sich ohnehin selbst der Nächste sind? Untergräbt er nicht alles, was freundschaftliches und liebevolles Bemühen ist? Und wieso scheint angeblich so sicher, dass das Vertrauen in Gott nicht enttäuscht wird? Wie viele haben dies in großer Not nicht oft gefühlt? Und warum fühlte sich selbst Jesus am Kreuz von Gott verlassen? Sicher, als Theologe werde ich jetzt schnell versuchen, diese berechtigten und erlittenen Fragebomben zu entschärfen. Aber bevor ich dies mühsam und unbefriedigend versuche, muss ich den Fragen erlauben, ernst genommen zu werden. Es ist wie mit dem Trauern: wer das schnell ins Hallelujasingen überspringen will, der kann Verluste nicht bearbeiten, nimmt sich die Chance, einem notwendigen Heilungsprozess zuzustimmen, der ohne Schmerzen kaum möglich ist.
Doch nochmal zurück zum Vertrauen. Es geht weder ohne Vertrauen zu Menschen, noch ohne Vertrauen zu Gott. Es gibt kein „Entweder/Oder“, auch hier nicht. Jeder Mensch braucht konkrete Menschen, auf die er sich in Freud und Leid verlassen, mit denen er von Angesicht zu Angesicht reden kann. Jeder Mensch braucht eine Hand, eine Umarmung, menschliche Nähe, wenn er nicht leibseelisch verarmen möchte. Und es ist meine tiefste Überzeugung, dass ich da nicht zusätzlich noch eine Prise Gott hineintun muss, weil er in aller wahrer und ehrlicher Menschlichkeit immer schon drin ist. Es ist aber genauso wahr, dass kein Mensch für einen anderen Gott spielen muss und darf, dass wir uns gegenseitig erlauben müssen, menschlich nahe zu sein, ohne andere für unser Glück und für unsere unstillbaren Sehnsüchte verantwortlich zu machen. Dann sind nicht die anderen Schuld an meinem Unglück, sondern meine überhöhten Erwartungen, die dann zum Fluch werden, und zwar für alle Beteiligten!
Gott ist in gewisser Weise ein Schutz für menschliches Vertrauen, eine Ermutigung, mit seelischen Leerstellen leben zu können, eine Wirklichkeit, die uns in der Tiefe berühren, trösten und heilen kann, wo keine menschliche Nähe mehr hineinreicht. Den Mut, dies zu erhoffen, nennt die Bibel „Glauben“ bzw. „Vertrauen“. Dieses Gottesgeschenk wird zum Segen, der uns in aller Not tragen und trösten kann. Selig sind die, die das so erfahren dürfen, mit oder ohne Gott, durch Menschen des Vertrauens oder auch ohne sie. Danken wir in dieser Eucharistiefeier jetzt für den Segen der liebevollen Gegenwart Gottes und allen, durch die dieser Segen menschlich erfahrbar wird. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)