6. Sonn­tag im Jah­res­kreis C (13.02.2022)

(Jer 17, 5–8; 1 Kor 15, 12.16–20; Lk 6, 17.20–26)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
„ver­flucht der Mensch, der auf Men­schen ver­traut“ (Jer17,5), die­sen Satz möch­te ich kei­nem mei­ner Freun­de und Freun­din­nen sa­gen. Ja, die­sen Satz möch­te ich über­haupt nicht sa­gen in ei­ne Welt, wo sich so vie­le Men­schen nach Ver­trau­en seh­nen, wo Ver­trau­en so le­bens­not­wen­dig ist für ein mensch­li­ches und fried­li­ches Mit­ein­an­der in Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Kir­che und im Pri­va­ten. Stärkt die­ser Satz nicht all‘ je­ne, die sich oh­ne­hin selbst der Nächs­te sind? Un­ter­gräbt er nicht al­les, was freund­schaft­li­ches und lie­be­vol­les Be­mü­hen ist? Und wie­so scheint an­geb­lich so si­cher, dass das Ver­trau­en in Gott nicht ent­täuscht wird? Wie vie­le ha­ben dies in gro­ßer Not nicht oft ge­fühlt? Und war­um fühl­te sich selbst Je­sus am Kreuz von Gott ver­las­sen? Si­cher, als Theo­lo­ge wer­de ich jetzt schnell ver­su­chen, die­se be­rech­tig­ten und er­lit­te­nen Fra­ge­bom­ben zu ent­schär­fen. Aber be­vor ich dies müh­sam und un­be­frie­di­gend ver­su­che, muss ich den Fra­gen er­lau­ben, ernst ge­nom­men zu wer­den. Es ist wie mit dem Trau­ern: wer das schnell ins Hal­le­lu­ja­sin­gen über­sprin­gen will, der kann Ver­lus­te nicht be­ar­bei­ten, nimmt sich die Chan­ce, ei­nem not­wen­di­gen Hei­lungs­pro­zess zu­zu­stim­men, der oh­ne Schmer­zen kaum mög­lich ist.
Doch noch­mal zu­rück zum Ver­trau­en. Es geht we­der oh­ne Ver­trau­en zu Men­schen, noch oh­ne Ver­trau­en zu Gott. Es gibt kein „Entweder/Oder“, auch hier nicht. Je­der Mensch braucht kon­kre­te Men­schen, auf die er sich in Freud und Leid ver­las­sen, mit de­nen er von An­ge­sicht zu An­ge­sicht re­den kann. Je­der Mensch braucht ei­ne Hand, ei­ne Um­ar­mung, mensch­li­che Nä­he, wenn er nicht leib­see­lisch ver­ar­men möch­te. Und es ist mei­ne tiefs­te Über­zeu­gung, dass ich da nicht zu­sätz­lich noch ei­ne Pri­se Gott hin­ein­tun muss, weil er in al­ler wah­rer und ehr­li­cher Mensch­lich­keit im­mer schon drin ist. Es ist aber ge­nau­so wahr, dass kein Mensch für ei­nen an­de­ren Gott spie­len muss und darf, dass wir uns ge­gen­sei­tig er­lau­ben müs­sen, mensch­lich na­he zu sein, oh­ne an­de­re für un­ser Glück und für un­se­re un­still­ba­ren Sehn­süch­te ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Dann sind nicht die an­de­ren Schuld an mei­nem Un­glück, son­dern mei­ne über­höh­ten Er­war­tun­gen, die dann zum Fluch wer­den, und zwar für al­le Be­tei­lig­ten!
Gott ist in ge­wis­ser Wei­se ein Schutz für mensch­li­ches Ver­trau­en, ei­ne Er­mu­ti­gung, mit see­li­schen Leer­stel­len le­ben zu kön­nen, ei­ne Wirk­lich­keit, die uns in der Tie­fe be­rüh­ren, trös­ten und hei­len kann, wo kei­ne mensch­li­che Nä­he mehr hin­ein­reicht. Den Mut, dies zu er­hof­fen, nennt die Bi­bel „Glau­ben“ bzw. „Ver­trau­en“. Die­ses Got­tes­ge­schenk wird zum Se­gen, der uns in al­ler Not tra­gen und trös­ten kann. Se­lig sind die, die das so er­fah­ren dür­fen, mit oder oh­ne Gott, durch Men­schen des Ver­trau­ens oder auch oh­ne sie. Dan­ken wir in die­ser Eu­cha­ris­tie­fei­er jetzt für den Se­gen der lie­be­vol­len Ge­gen­wart Got­tes und al­len, durch die die­ser Se­gen mensch­lich er­fahr­bar wird. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)