7. Sonn­tag im Jah­res­kreis A (19.02.2023)

(Lev 19, 1–2.17–18; 1 Kor 3, 16–23; Mt 5, 38–48)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
Re­zen­sio­nen zu schrei­ben, ist ei­ne Kunst. Denn man ver­sucht, den In­halt ei­nes Bu­ches zum Bei­spiel in we­ni­gen Sät­zen zu­sam­men­zu­fas­sen. Auch Fremd- und Fach­wör­ter ha­ben den Sinn, grö­ße­re Zu­sam­men­hän­ge in ei­nem oder meh­re­ren Wör­tern zu­sam­men­zu­fas­sen. Ich glau­be, dass Je­sus den ro­ten Fa­den des 1. Tes­ta­men­tes im Dop­pel­ge­bot der Lie­be (Mt 22, 34–40) prä­gnant zu­sam­men­ge­fasst hat. Man­che den­ken ja, Je­sus hät­te das erst ganz neu for­mu­liert und er­fun­den. Aber das stimmt na­tür­lich nicht.
Der ers­te Teil des Dop­pel­ge­bo­tes ist das Sche­ma Jis­ra­el, und das fin­det man im Buch Deu­te­ronó­mi­um, im Ka­pi­tel 6, Ver­se 4–9. Den zwei­ten Teil ha­ben wir heu­te in der 1. Le­sung aus dem Buch Le­vi­ti­kus, Ka­pi­tel 19, Vers 18, ge­hört: „Du sollst dei­nen Nächs­ten lie­ben wie dich selbst.“ Das fan­den die Men­schen zu Zeit Je­su auch schon klas­se, mehr aber oft nicht. Die Chris­ten schlos­sen sich die­ser Hal­tung in der Re­gel auch an, weil es schlicht und er­grei­fend viel leich­ter ist, ein­fach nur fromm zu sein und sich um die Lie­be nicht wei­ter zu sche­ren. Die ist näm­lich an­stren­gend und stellt re­li­giö­se Selbst­ge­fäl­lig­kei­ten im­mer wie­der in Fra­ge.
Oder sind die Wor­te Je­su heu­te nicht ei­ne Zu­mu­tung? „Liebt eu­re Fein­de“ klingt nicht lus­tig und ir­gend­wie nach emo­tio­na­ler Über­for­de­rung. Wie vie­le (Berufs)Christen ha­ben die­ses Ge­bot schlicht­weg ver­drängt oder sich über Ge­füh­le des Has­ses und des Zor­nes ihr christ­li­ches Ge­wis­sen zer­bro­chen! Sol­che Ge­füh­le muss man zu­nächst zu­las­sen und zur Kennt­nis neh­men, auch wenn das un­ser Selbst­bild ver­letzt. Ih­re An­we­sen­heit ist nicht gleich mo­ra­lisch ver­werf­lich. Ge­fähr­lich wird es nur, wenn wir uns ih­nen kampf­los über­las­sen. Denn dann wer­den wir mit Si­cher­heit am Lie­bes­ge­bot schei­tern.
Was uns Je­sus viel­leicht heu­te sa­gen will, ist dies: tat­säch­lich ist Lie­be oft ei­ne Zu­mu­tung und Her­aus­for­de­rung. Aber sie ret­tet uns auch vor der Höl­le in uns sel­ber. Denn wenn der Hass un­ser Herz ver­wüs­tet und ver­gif­tet hat, dann ent­mensch­li­chen wir schnell den wirk­li­chen oder ein­ge­bil­de­ten Feind und recht­fer­ti­gen dann oh­ne Ge­wis­sens­bis­se un­mensch­li­ches Ver­hal­ten. Und ge­nau das er­laubt uns Je­sus nicht. Ent­we­der kon­se­quen­te Lie­be oder wir las­sen es blei­ben, viel­leicht auch bei schö­nen Wor­ten.
Ich je­den­falls wer­de nie­man­den mei­ne rech­te Wan­ge hin­hal­ten, noch lass ich mich von de­nen, die mir auf der See­le rum­tram­peln, vor­schrei­ben, was ich zu tun und zu las­sen ha­be. Aber ich könn­te ver­su­chen, mit Got­tes Hil­fe und Geist er­war­te­te Re­ak­tio­nen zu durch­bre­chen und mich nicht vom lieb­lo­sen Geist an­de­rer an­ste­cken zu las­sen. Das ist leich­ter ge­sagt und vor­ge­nom­men, als ge­tan. Aber ei­nen oder vie­le Ver­su­che ist es wert – um un­se­ret­wil­len, um Got­tes wil­len und um ei­ner lie­be­vol­le­ren Welt wil­len.
„Seid al­so voll­kom­men, wie eu­rer himm­li­scher Va­ter voll­kom­men ist“, meint kei­ne mo­ra­li­sche Leis­tung und Voll­kom­men­heit. Der himm­li­sche Va­ter ist voll­kom­me­ne Lie­be, ganz und gar und un­ge­teilt. Das ist oh­ne­hin un­se­re Hoff­nung und die Quel­le der Mensch­lich­keit – im Him­mel, wie auf Er­den. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)