8. Sonn­tag im Jah­res­kreis C (27.02.2022)

(Sir 27, 4–7; 1 Kor 15, 54–58; Lk 6, 39–45)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
wenn das Bild­wort von gu­ten und schlech­ten Bäu­men im heu­ti­gen Evan­ge­li­um Men­schen meint, dann ist da si­cher was Wah­res dran. Was an ei­nem Men­schen ist, das sieht man nicht zu­erst an sei­nen Wor­ten. Das sieht man am En­de im­mer an sei­nen Ta­ten. Aber ist der Mensch, ist das Le­ben, im­mer so ein­deu­tig gut oder schlecht? Das ist si­cher un­ser Traum, das ist si­cher das red­li­che Be­mü­hen um un­ser Selbst­bild. Aber lehrt uns der ehr­li­che Blick auf uns selbst und auf das gan­ze Le­ben nicht, dass al­lem et­was zu­tiefst Am­bi­va­len­tes an­haf­tet? Mir scheint, dass ei­ne der schwers­ten Übun­gen bei der Pfle­ge des Selbst­bil­des die An­nah­me die­ser Er­fah­rung ist. Nie­mand ist doch nur gut, auch kein Hei­li­ger. Nie­mand ist doch nur schlecht, auch kein Sün­der. Ich fin­de in mir im­mer bei­de Sei­ten. Und nur, wenn ich das mit Got­tes Hil­fe und im Ho­ri­zont sei­ner be­din­gungs­lo­sen Lie­be ak­zep­tie­re, kann ich rei­fen, wach­sen und zu fried­li­che­ren At­mo­sphä­ren bei­tra­gen. Die Ver­wei­ge­rung die­ser An­nah­me führt ver­mut­lich zu je­ner Rich­ter- und Ver­ur­tei­ler­lust, wie wir sie im All­tag öf­ter er­le­ben. Selbst­er­kennt­nis­pro­zes­se sind da kaum zu er­ken­nen, Selbst­kri­tik ist ein Fremd­wort, das man am Liebs­ten aus sei­nem Wort­schatz strei­chen möch­te.
Auch geist­li­cher Miss­brauch hat hier sei­ne Wur­zeln, dem nicht nur Wert­schät­zung und Re­spekt, son­dern vor al­lem ei­ne ge­hö­ri­ge Por­ti­on Selbst­kri­tik feh­len. Wie an­ders kann man die Bal­ken­be­triebs­blind­heit sonst ver­ste­hen und die un­bän­di­ge Lust, Split­ter zu se­hen, Bal­ken aus ih­nen zu ma­chen und sich selbst für den größ­ten The­ra­peu­ten al­ler Zei­ten zu hal­ten? Im Grun­de ge­nom­men sind auf dem Hin­ter­grund die­ses Bil­des vom Split­ter und Bal­ken ei­ne Ver­ur­tei­lung, ein Rich­ten, ei­ne Ver­ge­bungs­ver­wei­ge­rung und Un­barm­her­zig­keit nicht mehr mög­lich. Nein, es sol­len nicht Feh­ler re­la­ti­viert, noch Schuld, die es oh­ne Zwei­fel gibt, ba­ga­tel­li­siert wer­den. Wir müs­sen das be­nen­nen und auch ahn­den. Aber das muss im­mer schwer­fal­len und mit gro­ßer Barm­her­zig­keit ge­sche­hen, im üb­ri­gen auch und be­son­ders im Blick auf uns sel­ber.
Nein, es gibt nicht hier die gu­ten und dort die bö­sen Men­schen. Aber wir soll­ten es uns eben nicht zu leicht ma­chen.
Wie al­so sol­len wir nun mit die­sen Wor­ten des Evan­ge­li­ums um­ge­hen? In je­dem Fall dür­fen wir glau­ben und dar­auf ver­trau­en, dass Gott in sei­ner Lie­be vor al­lem Barm­her­zig­keit ist. Uns fällt die­se Tu­gend aus schon er­wähn­ten Grün­den nicht be­son­ders leicht. Aber als sie in Got­tes Na­men zu üben­de, bringt sie uns im Her­zen mehr Frie­den und im Mit­ein­an­der mehr Mensch­lich­keit. Et­was mehr wohl­tu­en­de De­mut lernt man nicht in schö­nen Be­trach­tun­gen über sie, son­dern in der aus­ge­hal­te­nen und an­ge­nom­me­nen Er­fah­rung ei­ge­ner Am­bi­va­lenz, Ver­letz­lich­keit und Zer­brech­lich­keit.
Ich bin froh, dass Gott barm­her­zig blickt, oh­ne Wenn und Aber. Ich bin froh und dank­bar, wenn ich das in mensch­li­chen Au­gen er­bli­cken darf. Und ich bin froh und dank­bar, wenn ich das auch ein we­nig von Je­sus ler­nen darf. Das wün­sche ich mir, uns und so vie­len Men­schen, vor al­lem Chris­ten, wie mög­lich. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)