(Jer 23, 1–6; Eph 2, 13–18; Mk 6, 30–34)
Liebe Schwestern und Brüder,
das Thema des heutigen Sonntages erinnert doch stark an den Gute-Hirte-Sonntag in der Osterzeit. Es geht um die Sehnsucht der Menschen nach einem „Guten Hirten“, es geht um die Erfahrung Gottes und der Menschen, dass diese Sehnsucht so oft enttäuscht wird und unerfüllt bleibt. Gerade auch in unseren Tagen erleben wir, wie sehr uns diese Erfahrung mit den Menschen aller Zeiten verbindet. Aber ist es bei aller berechtigten Kritik so klar und einfach, sich selber auf der richtigen und anständigen Seite zu wähnen? Wir alle leben in Beziehungen, leben in Verantwortlichkeiten, die Alter, Beruf, Ämter, Stellung in der Gruppe etc. mit sich bringen. Das gilt vom Kind bis in das hohe Alter. Wir alle erfahren Macht auf unterschiedlichste Weise und werden sie wohl nicht immer nutzen, um der Liebe und der Gerechtigkeit den Weg zu bahnen. Das hat im Kleinen freilich eine andere Wirkung als im Großen.
Ich weiß nicht, ob ich mit großer Macht besser damit umgehen würde, als die Hirten dieser Welt in Staaten und Religionen. Es gibt gute Hirten und Hirtinnen, die ihre Macht zum Wohle der Menschen und Geschöpfe einsetzen. Es gibt auch jene, die ihre Macht für sich und gegen die ihnen Anvertrauten missbrauchen. Sie gehören abgesetzt.
Im Evangelium stellt Jesus fest, dass die Menschen wie Schafe sind, die keinen Hirten haben. Natürlich hatten sie genug Hirten, aber sie hatten offensichtlich keine, die sich wirklich um sie kümmerten und sie liebten. Und natürlich soll Jesus als „Guter Hirte“ dargestellt sein, der sich wirklich um die Sorgen und Nöte der Menschen kümmerte, der sie nicht zugrunde richten und zerstreuen (Jer 23, 2), sondern heilen, um Gott sammeln und ihnen Mut machen wollte, Gott zu lieben und zu vertrauen. Er war und ist wirklich jener von Gott gesandte Hirte, der die Schafe, die angeblich „schwarzen“ allemal, nicht vor allem das Fürchten lehrte und nicht die Angst zum Fundament von Moral und rechtem Glauben machte. Er ging vor allem jenen nach, die Verlorene waren, sich als solche fühlten oder von „Auserwählten“ dazu gemacht wurden, weil sie aus dem Rahmen und dem System fielen oder nicht in das Bild passten, das sich Menschen so gerne von anderen, auch angeblich im Namen Gottes, machten.
Warum hat Jesus, der Zimmermannssohn, die Menschen so angezogen? Weil sie sich als Menschen angenommen, geliebt und wahrgenommen fühlten. Weil hier jemand war, der anders von Gott sprach, von einem Gott, der nicht zuerst gefürchtet, sondern zuerst geliebt werden wollte. Von einem Gott, der nicht Dogmatik- und Moralbücher in die Mitte stellte, sondern den konkreten, den so oft widersprüchlichen und verletzten, Menschen.
Gott zieht nicht gnadenlos einen Strukturwandel durch, der an den Menschen vorbeigeht, Gott ist nicht an seiner Allmacht interessiert, sondern an seiner Liebe, die sich lieber mit Ohnmacht als mit Missbrauchsmacht verbindet. Das spürten die Menschen bei Jesus, das machte sie schon heiler an Leib und Seele. Das ist der Geist, in dem jeder von uns, so gut er kann, in seinem Machtbereich, die Macht der Liebe leben soll, sozusagen als ein guter Hirt, eine gute Hirtin, wie sich das Gott schon von Ewigkeit her gewünscht und erhofft hat. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)